Donnerstag, 12. Juli 2018
...das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann.
Je tiefer wir in der Geschichte zurückgehen, je mehr erscheint das Individuum, daher auch das produzierende Individuum, als unselbständig, einem größren Ganzen angehörig: erst noch in ganz natürlicher Weise in der Familie und in der zum Stamm erweiterten Familie; später in dem aus dem Gegensatz und Verschmelzung der Stamme hervorgehenden Gemeinwesen in seinen verschiednen Formen. Erst in dem 18. Jahrhundert, in der "bürgerlichen Gesellschaft", treten die verschiednen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem Ein- zelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegen, als äußerliche Notwendigkeit. Aber die Epoche, die diesen Standpunkt erzeugt, den des vereinzelten Einzelnen, ist gerade die der bisher entwickeltsten gesellschaft- lichen (allgemeinen von diesem Standpunkt aus) Verhältnisse.
Der Mensch ist im wörtlichsten Sinn ein ζῷον πολιτικόν, nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann. Die Produktion des vereinzelten Einzelnen außerhalb der Gesellschaft - eine Rarität, die einem durch Zufall in die Wildnis verschlagnen Zivilisierten wohl vorkommen kann, der in sich dynamisch schon die Gesellschaftskräfte besitzt - ist ein ebensolches Unding als Sprachentwicklung ohne lebende und zusammen sprechende Individuen.
Es ist sich dabei nicht länger aufzuhalten. Der Punkt wäre gar nicht zu berühren, wenn die Fadaise, die bei den Leuten des 18. Jahrhunderts Sinn und Verstand hatte, von Bastiat, Carey, Proudhon etc. nicht wieder ernsthaft mitten in die modernste Ökonomie hereingezogen würde. Für Proudhon u.a. ist es natürlich angenehm, den Ursprung eines ökonomischen Verhältnisses, dessen geschichtliche Entstehung er nicht kennt, dadurch ge- schichtsphilosophisch zu entwickeln, daß er mythologisiert, Adam oder Prometheus sei auf die Idee fix und fertig gefallen, dann sei sie eingeführt worden etc. Nichts ist langweilig trockner, als der phantasierende locus communis.
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aus Einleitung [zur Kritik der Politischen Ökonomie] in MEW 13, S. 616
Nota. - Selbst bei Fichte, dem idealistischsten der Idealisten, muss das Ich, nachdem es sich "durch Freiheit" selbst-gesetzt hat, herausfinden, dass es in Wahrheit 'schon immer' einer Gesellschaft angehört hat. Zugleich ist aber Fichte der Philosoph, der in seiner Rechtslehre wie kein zweiter auf der Vertragstheorie geritten ist. Das widerspricht sich nicht, weil das eine mit dem andern nichts zu tun hat. Die Vertragstheorie ist eine Fiktion, die notwendig zugrunde gelegt werden muss, wemm ein vernünftig, d. h. rechtlich geregeltes Gemeinwesen mög- lich sein soll. Der Gedanke, dass das Individuum zuvor vergemeinschaftet sein musste, bevor es sich als bürger- liches Subjekt vereinzeln konnte, behauptet einen bestimmten Sinn in unserer wirklichen Geschichte.
Von Proudhon bis zu den zeitgenössischen Autonomen benebeln sich alle Anarchisten mit dem Kult ihrer höchst privaten Individualität und lehnen alle gesellschaftliche Verbindlichkeit ab außer gegen jene autonomen Subjekte, mit denen sie sich persönlich schon "vertragen" haben. Dagegen ist nicht gut argumentieren. Aber beten hilft auch nicht.
JE
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