Mittwoch, 26. Dezember 2018

Über Trittbrettfahrer.

 
Karl Marx/Friedrich Engels
aus
Zirkularbrief an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a.

... Es ist eine im Gang der Entwicklung begründete, unvermeidliche Erscheinung, daß auch Leute aus der bis- her herrschenden Klasse sich dem kämpfenden Proletariat anschließen und ihm Bildungselemente zuführen. Das haben wir schon im "Manifest" klar ausgesprochen. Es ist aber hierbei zweierlei zu bemerken:

Erstens müssen diese Leute, um der proletarischen Bewegung zu nutzen, auch wirkliche Bildungselemente mit- bringen. Dies ist aber leider bei der großen Mehrzahl der deutschen bürgerlichen Konvertiten nicht der Fall. Weder die "Zukunft" noch die "Neue Gesellschaft" haben irgend etwas gebracht, wodurch die Bewegung um einen Schritt weitergekommen wäre. An wirklichem, tatsächlichem oder theoretischem Bildungsstoff ist da ab- soluter Mangel. Statt dessen Versuche, die sozialistischen, oberflächlich angeeigneten Gedanken in Einklang zu bringen mit den verschiedensten theoretischen Standpunkten, die die Herren von der Universität oder sonstwo- her mitgebracht und von denen einer noch verworrener war als der andre, dank dem Verwesungsprozeß, in dem sich die Reste der deutschen Philosophie heute befinden. Statt die neue Wissenschaft vorerst selbst gründlich zu studieren, stutzte sich jeder sie vielmehr nach dem mitgebrachten Standpunkt / zurecht, machte sich kurzer- hand eine eigne Privatwissenschaft und trat gleich mit der Prätension auf, sie lehren zu wollen. Daher gibt es unter diesen Herren ungefähr soviel Standpunkte wie Köpfe; statt in irgend etwas Klarheit zu bringen, haben sie nur eine arge Konfusion angerichtet - glücklicherweise fast nur unter sich selbst. Solche Bildungselemente, deren erstes Prinzip ist, zu lehren, was sie nicht gelernt haben, kann die Partei gut entbehren.

Zweitens. Wenn solche Leute aus andern Klassen sich der proletarischen Bewegung anschließen, so ist die erste Forderung, daß sie keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen. Jene Herren aber, wie nachgewiesen, stecken über und über voll bürgerlicher und kleinbürgerlicher Vorstellungen. In einem so kleinbürgerlichen Land wie Deutsch- land haben diese Vorstellungen sicher ihre Berechtigung. Aber nur außerhalb der sozialdemokratischen Arbeiter- partei. Wenn die Herren sich als sozialdemokratische Kleinbürgerpartei konstituieren, so sind sie in ihrem vol- len Recht; man könnte mit ihnen verhandeln, je nach Umständen Kartell schließen etc. Aber in einer Arbeiterpar- tei sind sie ein fälschendes Element. 


Sind Gründe da, sie vorderhand darin zu dulden, so besteht die Verpflichtung, sie nur zu dulden, ihnen keinen Einfluß auf die Parteileitung zu gestatten, sich bewußt zu bleiben, daß der Bruch mit ihnen nur eine Frage der Zeit ist. Diese Zeit scheint übrigens gekommen. Wie die Partei die Verfasser dieses Artikels noch länger in ihrer Mitte dulden kann, erscheint uns unbegreiflich. Gerät aber solchen Leuten gar die Parteileitung mehr oder weni- ger in die Hand, wo wird die Partei einfach entmannt, und mit der proletarischen Schneid ist's am End.
 

Was uns betrifft, so steht uns nach unsrer ganzen Vergangenheit nur ein Weg offen. Wir haben seit fast 40 Jah- ren den Klassenkampf als nächste treibende Macht der Geschichte, und speziell den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat als den großen Hebel der modernen sozialen Umwälzung hervorgehoben; wir kön- nen also unmöglich mit Leuten zusammengehn, die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen. Wir haben bei der Gründung der Internationalen ausdrücklich den Schlachtruf formuliert: Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Wir können also nicht zusammengehn mit Leuten, die es offen aussprechen, daß die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien und erst von oben herab befreit werden müssen durch philanthropische Groß- und Kleinbürger. Wird das neue Parteiorgan eine Hal- tung annehmen, die den Gesinnungen jener Herren entspricht, bürgerlich ist und / nicht proletarisch, so bleibt uns nichts übrig, so leid es uns tun würde, als uns öffentlich dagegen zu erklären und die Solidarität zu lösen, mit der wir bisher die deutsche Partei dem Ausland gegenüber vertreten haben. Doch dahin kommt's hoffent- lich nicht.

Geschrieben am 17./18. September 1879.
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in MEW 19, Berlin (O) 1962, S. 164ff.

Montag, 24. Dezember 2018

Engels über Bonapartismus.

geo

Ausnahmsweise indes kommen Perioden vor, wo die kämpfenden Klassen einander so nahe das Gleichgewicht halten, daß die Staatsgewalt als scheinbare Vermittlerin momentan eine gewisse Selbständigkeit gegenüber bei- den erhält. So die absolute Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts, die Adel und Bürgertum gegeneinander balanciert; so der Bonapartismus des ersten und namentlich des zweiten französischen Kaiserreichs, der das Proletariat gegen die Bourgeoisie und die Bourgeoisie gegen das Proletariat ausspielte. Die neueste Leistung in dieser Art, bei der Herrscher und Beherrschte gleich komisch erscheinen, ist das neue deutsche Reich Bismarck- scher Nation: Hier werden Kapitalisten und Arbeiter gegeneinander balanciert und gleichmäßig geprellt zum Besten der verkommnen preußischen Krautjunker. 
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Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW 21, Berlin (O) 1962, S. 167


Nota. - Hervorzuheben war, dass der Bonapartismus des 19. Jahrhundert etwas so völlig Neues nicht war, das es nötig machte, die allgmeine Theorie vom Klassencharakter des Staates zu revidieren: Er hatte seinen histori- schen Vorläufer und sein Vorbild in der absoluten Monarchie. 

Aber der entscheidende Unterschied: Die absoluten Monarchie begleiteten und bewerkstelligten den Übergang von der Feudalordnung zur bürgerlichen Produktionsweise - und das dauerte gut zwei Jahrhunderte. Der Bona- partismus dagegen ist ein momentanes Konjunkturprogramm im Rahmen einer bürgerlichen Gesellschaft, in der der Staat sich im Prinzip schon repäsentativ legitimieren muss. Ohne allgemeines Wahlrecht, und sei es nur als Drohung im Hintergrund, hat er keinen dauernden Bestand: Er braucht die Massen - zumindest, um sie zu ma- növrieren. 

Mehr darf er ihnen freilich nicht erlauben, sonst fallen die Klassen der Besitzenden, die er gegeneinander aus- spielt, gemeinsam über ihn her. Es ist ein prekäres Balancespiel, bei dem - von Louis XIV. bis Wladimir Putin - auswärtige Militärabenteuer zum Blitzableiter für innere Spannungen guten Dienst erweisen; aber auch Feuer an die Lunte legen können.

Und eines haben Bonapartismus und Absolutismus im Kern gemeinsam: Sie bedürfen zu ihrer Herrschaft eines stabilen bürokratischen Staatsapparats. Er ist ihre wahre "Massenbasis" und ihr unerschöpfliches Korruptions- mittel.
JE

Sonntag, 23. Dezember 2018

Bonapartismus II: Die Parzellenbauern

J.-F. Millet

Und dennoch schwebt die Staatsgewalt nicht in der Luft. Bonaparte vertritt eine Klasse, und zwar die zahl- reichste Klasse der französischen Gesellschaft, die Parzellenbauern.

Wie die Bourbons die Dynastie des großen Grundeigentums, wie die Orléans die Dynastie des Geldes, so sind die Bonapartes die Dynastie der Bauern, d.h. der französischen Volksmasse. Nicht der Bonaparte, der sich dem Bourgeoisparlamente unterwarf, sondern der Bonaparte, der das Bourgeoisparlament auseinanderjagte, ist der Auserwählte der Bauern. Drei Jahre war es den Städten gelungen, den Sinn der Wahl vom 10. Dezember zu ver- fälschen und die Bauern um die Wiederherstellung des Kaiserreichs zu prellen. Die Wahl vom 10. Dezember 1848 ist erst erfüllt worden durch den coup d’état vom 2. Dezember 1851.

Die Parzellenbauern bilden eine ungeheure Masse, deren Glieder in gleicher Situation leben, aber ohne in man- nigfache Beziehung zueinander zu treten. Ihre Produktionsweise isoliert sie voneinander, statt sie in wechselsei- tigen Verkehr zu bringen. Die Isolierung wird gefördert durch die schlechten französischen Kommunikations- mittel und die Armut der Bauern. Ihr Produktionsfeld, die Parzelle, läßt in seiner Kultur keine Teilung der Ar- beit zu, keine Anwendung der Wissenschaft, also keine Mannigfaltigkeit der Entwicklung, keine Verschieden- heit der Talente, keinen Reichtum der gesellschaftlichen Verhältnisse. 


Jede einzelne Bauernfamilie genügt beinah sich selbst, produziert unmittelbar selbst den größten Teil ihres Konsums und gewinnt so ihr Lebensmaterial mehr im Austausche mit der Natur als im Verkehr mit der Ge- sellschaft. Die Parzelle, der Bauer und die Familie; daneben eine andre Parzelle, ein andrer Bauer und eine andre Familie. Ein Schock davon macht ein Dorf, und ein Schock Dörfer macht ein Departement. So wird die große Masse der französischen Nation gebildet durch einfache Addition gleichnamiger Größen, wie etwa ein Sack von Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet. 

Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung, von denen der andern Klassen trennen und ihnen feindlich gegenüberstellen, bil- den sie eine Klasse. Insofern ein nur lokaler Zusammenhang unter den Parzellenbauern besteht, die Dieselbig- keit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sie sind daher unfähig, ihr Klasseninteresse im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent geltend zu machen. Sie können sich nicht vertreten, sie müs- sen vertreten werden. Ihr Vertreter muß zugleich als ihr Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierungs-/gewalt, die sie vor den andern Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt. Der politische Einfluß der Parzellenbauern findet also darin seinen letzten Ausdruck, daß die Exekutivgewalt sich die Gesellschaft unterordnet.
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Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, VII. Kapitel; Berlin (O) 1960, S. 197f.


Nota. - Das war die Elementaraufgabe der französischen Revolution gewesen: der aufkommenden Industrie einen inneren Markt zu schaffen, der sie nach außen instand setzte, gegen die Engländer zu konkurrieren; Napoleons Kontinentalsperre hat ihn besiegelt. Der innere Markt, das war ein Ozean von landwirtschaftlichen Kleinunternehmern, die nun nicht mehr Pächter bei einem feudalen Grundherrn, sondern selber Herren auf ihrer Scholle waren; selber Geld in die Hände bekamen, mit dem sie einheimische Produkte kaufen - und für das sie sich bei französischen Banken verschulden konnten.

Sie waren die Basis für Napoleons Siegeszug in Europa, und fortan entschied sich die innere Politik Frankreichs daran, welcher Partei es gelang, die ländliche Kleinbourgeoisie hinter sich zu sammeln.

Schaffung des inneren Marktes ist die Kernaufgabe einer jeden bürgerlichen Revolution. Die organische Unfä- higkeit der Bauernschaft, eine eigene Partei zu bilden, war hernach das Kernproblem aller bürgerlichen Revolu- tionen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern und zwang die Revolution, permanent zu werden... oder eben zu scheitern.

Es ist nicht die "Borniertheit des Landlebens", das die Bauernschaft zu eigener gesellschaftspolitischer Identität unfähig macht. Es ist die Eigenheit ihrer Stellung zueinander im Unterschied zu den andern Klassen: die "Diesel- bigkeit ihrer Interessen", die jedoch "keine Gemeinsamkeit" erzeugt. Jede Parzelle hat im Prinzip dieselben In- teressen wie die Nachbarparzelle, aber ein jede nur für sich und im - fast alltäglichen - Streitfall gegen die andern. Wollten sie sich ihre eigenen Repräsentanten geben, würden sie immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner vertreten können; und alsbald von Neidern verdrängt werden. Vertreten werden müssen sie von einem väterli- chen Gönner, der keiner von ihnen ist, der über ihnen allen steht und es gut mit ihnen meint. Sie können selber keine Richtung vorgeben, sondern durch ihre Masse immer nur der einen oder andern Richtung den Ausschlag verschaffen. 

Diese zwei Jahrhunderte alte Vorgeschichte prägt die französische Innenpolitik bis heute.
JE


Samstag, 22. Dezember 2018

Bonapartismus I.

Ratapoil, H. Daumier

Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andre. Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie sich als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!

Diese Exekutivgewalt mit ihrer ungeheuern bürokratischen und militärischen Organisation, mit ihrer weit- schichtigen und künstlichen Staatsmaschinerie, ein Beamtenheer von einer halben Million neben einer Armee von einer andern halben Million, dieser fürchterliche Parasitenkörper, der sich wie eine Netzhaut um den Leib der französischen Gesellschaft schlingt und ihr alle Poren verstopft, entstand in der Zeit der absoluten Monar- chie, beim Verfall des Feudalwesens, den er beschleunigen half. Die herrschaftlichen / Privilegien der Grundei- gentümer und Städte verwandelten sich in ebenso viele Attribute der Staatsgewalt, die feudalen Würdenträger in bezahlte Beamte und die bunte Mustercharte der widerstreitenden mittelalterlichen Machtvollkommenheiten in den geregelten Plan einer Staatsmacht, deren Arbeit fabrikmäßig geteilt und zentralisiert ist. 


Die erste französische Revolution mit ihrer Aufgabe, alle lokalen, territorialen, städtischen und provinziellen Sondergewalten zu brechen, um die bürgerliche Einheit der Nation zu schaffen, mußte entwickeln, was die absolute Monarchie begonnen hatte: die Zentralisation, aber zugleich den Umfang, die Attribute und die Handlanger der Regierungsgewalt. Napoleon vollendete diese Staatsmaschinerie. Die legitime Monarchie und die Julimonarchie fügten nichts hinzu als eine größere Teilung der Arbeit, in demselben Maße wachsend, als die Teilung der Arbeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft neue Gruppen von Interessen schuf, also neues Material für die Staatsverwaltung. 

Jedes gemeinsame Interesse wurde sofort von der Gesellschaft losgelöst, als höheres, allgemeines Interesse ihr gegenübergestellt, der Selbsttätigkeit der Gesellschaftsglieder entrissen und zum Gegenstand der Regierungs- tätigkeit gemacht, von der Brücke, dem Schulhaus und dem Kommunalvermögen einer Dorfgemeinde bis zu den Eisenbahnen, dem Nationalvermögen und der Landesuniversität Frankreichs. 

Die parlamentarische Republik endlich sah sich in ihrem Kampfe wider die Revolution gezwungen, mit den Repressivmaßregeln die Mittel und die Zentralisation der Regierungsgewalt zu verstärken. Alle Umwälzungen vervollkommneten die Maschine statt sie zu brechen. Die Parteien, die abwechselnd um die Herrschaft rangen, betrachteten die Besitznahme dieses ungeheueren Staatsgebäudes als die Hauptbeute des Siegers.

Aber unter der absoluten Monarchie, während der ersten Revolution, unter Napoleon war die Bürokratie nur das Mittel, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie vorzubereiten. Unter der Restauration, unter Louis-Philippe, unter der parlamentarischen Republik war sie das Instrument der herrschenden Klasse, so sehr sie auch nach Eigenmacht strebte.

Erst unter dem zweiten Bonaparte scheint sich der Staat völlig verselbständigt zu haben. Die Staatsmaschinerie hat sich der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber so befestigt, daß an der Spitze der Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember genügt, ein aus der Fremde herbeigelaufener Glücksritter, auf den Schild gehoben von einer trun- kenen Soldateska, die er durch Schnaps und Würste erkauft hat, nach der er stets von neuem mit der Wurst wer- fen muß. Daher die kleinlaute Verzweiflung, das Gefühl der ungeheuersten Demütigung, Herabwürdigung, das die Brust Frankreichs beklemmt und seinen Atem stocken läßt. Es fühlt sich wie entehrt.

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Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, VII. Kapitel; Berlin (O) 1960, S. 196f.



 

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Mystifikation der Arbeit.


„Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesell- schaft und durch die Gesellschaft möglich ist, gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsgliedern.“ 

Erster Teil des Paragraphen: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur.“
 

Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. Jene Phrase findet sich in allen Kinderfibeln und ist insofern richtig, als unter- stellt wird, daß die Arbeit mit den dazugehörigen Gegenständen und Mitteln vorgeht. 

Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur  soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und –gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. 

Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.
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aus Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei ("Kritik des Gothaer Programms") in 
MEW 19, S. 13


Nota. - Das Gothaer Programm war als Plattform für die Vereinigung der Lassalleaner mit den 'marxistischen' Eisenachern in einem Kuhhandel entstanden. Da die Lassalleaner in der Sache überall nachgeben mussten, wollten sie wenigstens auf dem Papier kompensiert werden. Das Ergebnis war ein heilloses Mischmasch aus allerlei sozialistischen Phrasen verschiedenster Provenienz. Marx und Engels waren geneigt, sich von diesem Potpourri öffentlich zu distanzieren. Sie ließen sich von Bebel und Liebknecht schließlich doch überreden. 

Die Arbeit machen typischerweise die Apologeten der bürgerlichen Wirtschaftsordnung zum Fetisch. Da tun sie die Unternehmer und die Unternommenen in einen Sack und lässt unter den Tisch fallen, dass die sachlichen Bedingungen, die wirkliche Arbeit überhaupt erst möglich machen, von einer Seite her vorab monopolisiert sind - und es sieht fast so aus, als täten sie den Eigentümern des Arbeitsvermögens einen Gefallen, wenn sie ihnen die erforderlichen Arbeitsmittel  'überlassen'. Dass das Monopol über die Arbeitsmittel aus einer vorangegangenen Okkupation hervorgegangen ist, gerät im Weihrauch aus dem Blick.
JE


Dienstag, 18. Dezember 2018

Stücklohn (Akkord).



Diese verschiednen Formen des Arbeitslohns gehn das allgemeine Verhältnis nichts an. Es ist übrigens auf der Hand liegend, daß beim Stücklohn die- selbe Frage eintritt: Woher kommt der Mehrwert? 

Offenbar, daß das Stück nicht ganz bezahlt wird; daß mehr Arbeit in dem Stück absorbiert ist als für es in Geld bezahlt wird. Also das ganze Phänomen nur dadurch zu erklären (alle andren Erklärungsweisen setzen es schließ- lich immer wieder voraus), daß der Arbeiter nicht seine Arbeit verkauft als Ware — und das ist sie, sobald sie vergegenständlicht ist, in welchem Gebrauchswert immer, also stets als Resultat des /Arbeitsprozesses, also meist, bevor die Arbeit gezahlt wird —, sondern sein Arbeitsvermögen, bevor es gearbeitet hat und sich als Arbeit verwirklicht hat. 

Das Resultat — daß der vorausgesetzte Wert oder die Geldsumme, die der Käufer in die Zirkulation warf, nicht nur reproduziert ist, sondern sich verwertet hat, in einer bestimmten Proportion gewachsen, zu dem Wert ein Mehrwert hinzugekommen ist —, dies Resultat wird nur in dem unmittelbaren Produktionsprozeß verwirklicht, denn erst hier wird aus dem Arbeitsvermögen wirkliche Arbeit, vergegenständlicht sich die Arbeit in einer Wa- re. Dies Resultat ist, daß der Käufer mehr vergegenständlichte Arbeit in der Form von Ware zurückerhält, als er in der Form von Geld vorgeschossen hat. Während des Arbeitsprozesses selbst ist dieser Mehrwert — dieses Surplus vergegenständlichter Arbeitszeit erst entsprungen, die er später wieder in Zirkulation wirft, indem er die neue Ware verkauft. 

Aber dieser zweite Akt, in dem der Mehrwert wirklich entspringt und das Kapital in der Tat produktives Kapi- tal wird, kann nur eintreten infolge des ersten Akts und ist nur eine Konsequenz des spezifischen Gebrauchs- werts der Ware, die im ersten Akt zu ihrem Wert gegen Geld ausgetauscht wird. 

Der erste Akt findet aber nur statt unter gewissen historischen Bedingungen. Der Arbeiter muß frei sein, um über sein Arbeitsvermögen als sein Eigentum verfügen zu können, also weder Sklave, Leibeigner, Höriger. Andrerseits muß er ebensowohl die Bedingungen, sein Arbeitsvermögen verwirklichen zu können, verloren haben. Also weder zu eignem Gebrauch wirtschaftender Bauer oder Handwerker sein, überhaupt er muß auf- gehört haben, Eigentümer zu sein. Es ist unterstellt, daß er als Nichteigentümer arbeitet und die Bedingungen seiner Arbeit ihm als fremdes Eigentum gegenüberstehn. 

In diesen Bedingungen liegt also auch, daß die Erde ihm als fremdes Eigentum gegenübersteht; daß er ausge- schlossen ist vom Gebrauch der Natur und ihrer Produktionen. Es ist dies der Punkt, worin das Grundeigen- tum als eine notwendige Voraussetzung der Lohnarbeit und daher des Kapitals erscheint. Im übrigen ist es bei der Betrachtung des Kapitals als solchem nicht weiter zu berücksichtigen, indem die der kapitalistischen Form der Produktion entsprechende Form des Grundeigentums selbst ein historisches Produkt der kapitalistischen Produktionsweise ist. 

In dem Dasein des Arbeitsvermögens als Ware, angeboten vom Arbeiter selbst — liegt also ein ganzer Umkreis von historischen Bedingungen, unter denen allein die Arbeit Lohnarbeit, daher das Geld Kapital werden kann. Es handelt sich dabei natürlich darum, daß die Produktion im allgemeinen auf dieser Grundlage beruht, die Lohnarbeit und ihre Verwendung durch Kapital nicht als sporadische Erscheinung auf der Oberfläche der Gesellschaft vorkommt, sondern daß dies herrschendes Verhältnis.
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 103f.
 



Nota. - Unmittelbar bevor Marx mit dem Begriff, d. h. mit dem "herrschenden Verhältnis" argumentiert, hatte er freilich vorgerechneet, wie auch im Stücklohn letztlich die Arbeitszeit als Maßstab gilt; nämlich im Durchschnitt. Stücklohn kommt nur zur Anwendung, wenn der bestimmte Arbeiter - die bestimmte Gruppe von Arbeitern - in ihrem Durchschnitt den allgemeinen Durchschnitt unterbieten.
JE



 

Montag, 17. Dezember 2018

Zunächst verlängert der technische Fortschritt die Arbeitszeit.


Eine der ersten Folgen der Einführung neuer Maschinerie, bevor sie herrschend in ihrem Produktionszweig geworden ist, ist, die Arbeitszeit der Arbeiter zu verlängern, die fortfahren, mit den alten unvollkommenen Produktionsmitteln zu arbeiten. 

Die mit der Maschinerie produzierte Ware, obgleich sie über ihrem individuellen Wert verkauft wird, d. h. über dem Quantum in ihr selbst enthaltner Arbeitszeit, wird unter dem bisherigen gesellschaftlichen, allgemeinen Wert derselben Produktspezies verkauft. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Produktion dieser be- stimmten Ware ist daher gefallen, nicht aber die für die mit den alten Produktionsinstrumenten arbeitenden Arbeiter. Reichen also 10 Stunden Arbeitszeit hin zur Reproduktion seines Arbeitsvermögens, so enthält sein Produkt von 10 Stunden nicht mehr 10 Stunden notwendiger Arbeitszeit, nämlich unter den neuen gesellschaft- lichen Produktionsbedingungen zur Herstellung dieses Produkts notwendiger Arbeitszeit, sondern vielleicht nur 6 Stunden. 

Wenn er daher 14 Stunden arbeitet, so stellen diese seine 14 Stunden nur 10 Stunden notwendiger Arbeitszeit dar, und es sind nur 10 Stunden notwendige Arbeitszeit in ihnen realisiert. Das Produkt hat daher auch nur den Wert eines Produkts von 10 Stunden allgemeiner notwendiger gesellschaftlicher Arbeit. Er müßte die Arbeits- zeit verlängern, wenn er selbständig arbeitet. Arbeitet er als Lohnarbeiter, also notwendig auch Surpluszeit, so wird bei aller Verlängrung der absoluten Arbeitszeit die durchschnittliche Surplusarbeit für den Kapitalisten nur herauskommen, indem sein Lohn unter den frühren average fällt, d. h. von den mehr Stunden, die er arbeitet, weniger von ihm selbst angeeignet werden, nicht, weil seine Arbeit produktiver, sondern weil sie unproduktiver geworden, nicht, weil er in kleinrer Arbeitszeit dasselbe Quantum von Produkt schafft, sondern weil das ihm zufallende Quantum verringert wird. 
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 323 



Nota I. -  Was sich als Gesetzt der Konkurrenz darstellt, ist nichts anderes als die Zeitverzögerung, mit der sich die Veränderungen des Durchschnitts auf der Gebrauchswertseite in verändertem Durchschnitt auf der Tauschwert- seite durchsetzen. Das ist trivial und hat mit Schicksalfügung nichts zu tun.
 
Nota II. - Unter den Bedingungen einer entwickelten Arbeiterbewegung kann der Kapitalist weder beim Lohn noch bei der Arbeitszeit schalten und walten, wie er will. Umso größer der Druck, den technischen Vorsprung der Konkurrenten aufzuholen und, wenn möglich, zu überholen. Der Klassenkampf beschleunigt die Akkumu- lation, indem er die Konkurrenz der Kapitalien verschärft. 

Schon wieder so eine Stelle, wo der Gebrauchswert (der Arbeitskraft) in die Formbestimmung eingreift.
JE

Sonntag, 16. Dezember 2018

Eine höhere Stufe der Arbeitsteilung.

Arbeitsteilung in der Steinzeit, Wiktor Wasnezow

Mit der Einführung der Maschinerie, mit welcher die Arbeitsmittel großen Wertumfang annehmen und sich in massenhaften Gebrauchswerten darstellen, wächst dieser Unterschied zwischen Arbeitsprozeß und Verwertungs- prozeß und wird ein bedeutendes Moment in der Entwicklung der Produktivkraft und dem Charakter der Produk- tion. Ein Atelier von mechanischen Webstühlen z.B., das während 12 Jahren leistet, ist die Abnutzung der Ma- schinerie usw. während des Arbeitsprozesses an einem Tage unbedeutend und erscheint daher der Wertteil der Maschinerie, der in der einzelnen Ware wiedererscheint oder selbst in dem Produkt eines ganzen Jahres, relativ unbedeutend. Die vergangene, vergegenständlichte Arbeit tritt hier massenhaft in den Arbeitsprozeß ein, wäh- rend nur ein relativ unbedeutender Teil dieses Teils des Kapitals sich in demselben Arbeitsprozeß abnutzt, also in den Verwertungsprozeß eintritt und daher als Wertteil im Produkt wiedererscheint. 

Wie bedeutend daher immer die Wertgröße sei, welche die in den Arbeitsprozeß eingehnde Maschinerie und die mit ihr gegebnen Baulichkeiten usw. darstellen, geht, mit dieser Gesamtwertmasse verglichen, immer nur ein relativ geringer Teil derselben in den täglichen Verwertungsprozeß, daher in den Wert der Ware, ein, verteuert die Ware relativ, aber nur unbedeutend und in viel geringerem Maße, als die von der Maschinerie ersetzte Hand- arbeit sie verteuern würde. Wie groß daher auch der Teil des Kapitals, der in Maschinerie ausgelegt ist, erschei- nen möge gegen den Teil, der in der lebendigen Arbeit ausgelegt ist, welcher diese Maschinerie als Produktions- mittel dient, so erscheint diese Proportion sehr gering, wenn der Wertteil der Maschinerie, der in der einzelnen Ware wiedererscheint, verglichen wird mit der in derselben Ware aufgesaugten lebendigen Arbeit, und erscheint der von beiden — Maschinerie und Arbeit — dem einzelnen Produkt zugesetzte Wertteil gering — im Verhält- nis zum Wert des Rohmaterials selbst. 

Es ist erst mit der Maschinerie, daß die gesellschaftliche Produktion auf großer Stufenleiter die Kraft erwirbt, Produkte, die ein großes Quantum vergangner Arbeit darstellen, also große Wertmassen, ganz in den Arbeits- prozeß eingehen zu lassen, ganz als Produktionsmittel, während nur ein relativ geringer aliquoter Teil derselben in den während des einzelnen Arbeitsprozesses vor sich gehenden Verwertungsprozesses eingeht. Das Kapital, was in dieser Form in jeden einzelnen Arbeitsprozeß eingeht, ist groß, aber das Verhältnis, worin sein Gebrauchs- wert während dieses Arbeitsprozesses vernutzt, konsu- miert wird und sein Wert daher ersetzt werden muß, ist relativ klein. Die Maschinerie wirkt ganz als Arbeitsmittel, setzt dem Produkt aber nur Wert zu im Verhältnis, worin der Arbeitsprozeß sie entwertet, eine Entwertung, die / durch den Grad der Abnutzung ihres Gebrauchs- werts während des Arbeitsprozesses bedingt ist. 
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 321f.  



Nota. - Ohne die Ausbildung des Kapitals wäre die Einführung von Maschinen und der Übergang zu erwei- terter, industrieller Arbeitsteilung nicht möglich gewesen.

Einfache Kooperation in den Ateliers der Manufakturen konnte Ludwig XIV. selbst durchführen. Um Geld zu verdienen, denn seine Kriege waren nicht minder kostspielig als das Bauen in Versailles. Er produzierte Luxus- güter, die auch er selbst gebrauchen konnte - zum Selbstkostenpreis. Die gewaltigen Investitionen, die die Ein- führung von Maschinen erfordert hätten, konnte er sich gar nicht leisten, denn ein Gewinn im kommenden Jahr linderte nicht seine Geldknappheit im Moment.

Der Fürst kann nur selber industrieller Kapitalis werden, wenn es fähig ist, ganz und gar Kapitalist zu werden. Solange seine Privatschatulle Teil des Staatshaushalts ist, ist daran nicht zu denken.

Mit andern Worten, die Verheerungen des Frühkapitalismus und der industriellen Revolution waren historisch unumgänglich; die nachträglichen Romantisierungen aristokratischer Staatssozialisten konnten es nicht vertu- schen.
JE

Samstag, 15. Dezember 2018

Formale und reale Subsumtion der Arbeit unters Kapital.

Chaplin
 
Die Vermehrung der Produktivkraft durch die einfache Kooperation und Teilung der Arbeit kostet dem Ka- pitalisten nichts. Sie sind unentgeltliche Naturkräfte der gesellschaftlichen Arbeit in den bestimmten Formen, die sie unter der Herrschaft des Kapitals annimmt. 

Die Anwendung der Maschinerie [hingegen!] bringt nicht nur Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ins Spiel im Unterschied von der Arbeit des vereinzelten Individuums. Sie verwandelt einfache Naturkräfte in Potenzen der gesellschaftlichen Arbeit, wie Wasser, Wind, Dampf, Elektrizität usw. Dies abgesehn von der Benutzung der mechanischen Gesetze, die in dem eigentlichen, arbeitenden Teil (i. e. direkt das Rohmaterial mechanisch oder chemisch verwandelnden Teil der Maschinerie) wirkt. 

Indes unterscheidet sich diese Form der Vermehrung der Produktivkräfte, hinc der notwendigen Arbeitszeit dadurch: Ein Teil der bloßen Naturkraft, die angewandt wird, ist in dieser ihrer anwendbaren Form Produkt der Arbeit, wie die Verwandlung von Wasser in Dampf. Wo die bewegende Kraft, wie das Wasser z. B. natürlich als Wasserfall und dgl. vorgefunden wird {höchst charakteristisch, nebenbei bemerkt, daß die Franzosen das Wasser im Lauf des 18. Jahrhunderts horizontal wirken ließen, die Deutschen stets es künstlich brachen}, ist das Medi- um, wodurch seine Bewegung auf die eigentliche Maschinerie fortgeleitet wird, z. B. Wasserrad, Produkt der Arbeit. 

Ganz und gar aber gilt dies von der unmittelbar den Rohstoff umformenden Maschinerie selbst. Die Maschine- rie also, im Unterschied von der einfachen Kooperation und der Teilung der Arbeit in der Manufaktur, ist produ- zierte Produktivkraft; sie kostet; sie tritt als Ware (direkt als Maschinerie oder indirekt als Ware, die konsumiert werden muß, um der bewegenden Kraft die erheischte Form zu geben) in die Produktionssphäre, worin sie als Maschinerie wirkt, als ein Teil des konstanten Kapitals. Wie jeder Teil des konstanten Kapitals fügt sie dem Produkt den Wert zu, der in ihr selbst enthalten ist, d. h,, verteuert es um die Arbeitszeit, die zu ihrer eignen Produktion erheischt war. 

Die Maschinerie also, im Unterschied von der einfachen Kooperation und der Teilung der Arbeit in der Manu- faktur, ist produzierte Produktivkraft; sie kostet; sie tritt als Ware (direkt als Maschinerie oder indirekt als Ware, die konsumiert werden muß, um der bewegenden Kraft die erheischte Form zu geben) in die Produktionssphä- re, worin sie als Maschinerie wirkt, als ein Teil des konstanten Kapitals. Wie jeder Teil des konstanten Kapitals fügt sie dem Produkt den Wert zu, der in ihr selbst enthalten ist, d. h., verteuert es um die Arbeitszeit, die zu ihrer eignen Produktion erheischt war. ...

In dem Maße, wie die Maschinerie aus ihrer Kindheitsstufe heraustritt, sich von den Dimensionen und dem Charakter des Handwerkszeugs unterscheidet, das sie ursprünglich ersetzt, wird sie massenhafter und teurer, er-/heischt mehr Arbeitszeit zu ihrer Produktion, steigt ihr absoluter Wert, obgleich sie relativ wohlfeiler wird, d. h., obgleich die wirksamre Maschinerie in dem Verhältnis ihrer Wirksamkeit weniger kostet als die minder wirksame, d. h., das Quantum Arbeitszeit, das ihre eigne Produktion kostet, in viel ge- ringrem Verhältnis wächst als das Quantum Arbeitszeit, das sie ersetzt. Jedenfalls aber steigt ihre absolute Teuerkeit progressiv, fügt sie also absolut größern Wert der von ihr produzierten Ware hinzu, namentlich im Vergleich zu dem Hand- werkszeug oder selbst den einfachen und den auf Teilung der Arbeit beruhenden Instrumenten, die sie im Pro- duktionsprozeß ersetzt. 
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 318f.



Nota. - Der Ausdruck kommt hier zwar noch nicht vor, aber es geht um den Unterschied, den M. später als den zwischen formeller und reeller Subsumtion der Arbeit unter das Kapital beschreiben wird. Die einfache Koope- ration - = Teilung der Arbeit - innerhalb derselben Werkstatt könnte ein x-beliebiger Meister einführen, wenn sein Produkt nicht zünftig reglementiert wäre. Aber ein kapitalistischer Unternehmer muss sie einführen, wenn die Konkurrenz ihn zum Einsatz von Maschinen zwingt.

Denn ungezwungen würde er Maschinen niemals einführen: Sie kosten erst einmal viel Geld. Die Konkurrenz - der Warenmarkt - muss erst ein Ausmaß erreicht haben, das ihm wie ein Zwang vorkommt, damit er diese Inve- stition riskiert. Mit andern Worten, das Kapital muss schon so weit entwickelt sein, dass ein höherer Grad der Arbeitsteilung (durchschnittlich) gesellschaftlich notwendig geworden ist.

Es ist dies eine von den vielen Stellen, wo das Soffliche - der Gebrauchswert - unmittelbar in die Formbestim- mung eingreift (oder umgekehrt die Formbestimmung in den Gebrauchswert; aber das ist logisch dasselbe).
JE

 

Freitag, 14. Dezember 2018

Notwendig und durchschnittlich.

wolfram

Es ist nur in einzelnen Fällen, daß der Kapitalist durch Einführung der Maschinerie direkte Herabsetzung des Ar- beitslohns bezweckte, obgleich dies stets der Fall, wenn er an die Stelle der geschickten Arbeit einfache und an die Stelle der Arbeit erwachsener Männer die Arbeit von Frauen und Kindern setzt. 

Der Wert der Ware ist durch die in ihr enthaltne gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt. Bei Einführung neuer Maschinerie, solange die Masse der Produktion noch auf Grundlage der alten Produktionsmittel fort- dauert, kann der Kapitalist die Ware unter ihrem gesellschaftlichen Wert verkaufen, obgleich er sie über ihrem individuellen Wert verkauft, d.h. über der Arbeitszeit, die er unter dem neuen Produktionsprozeß zu ihrer Her- stellung bedarf. Hier scheint also der Mehrwert für ihn aus dem Verkauf — der Übervorteilung der andren Wa- renbesitzer, dem Steigen des Preises der Ware über ihren Wert, herzustammen, nicht aus der Verminderung der notwendigen Arbeitszeit und der Verlängerung der Surplusarbeitszeit. 

Indes ist auch das nur Schein. Durch die ausnahmsweise Produktivkraft, die die Arbeit hier im Unterschied von der Durchschnittsarbeit in demselben Geschäftszweig erhalten, wird sie im Verhältnis zu derselben höhre Ar- beit, so daß z. B. eine Arbeitsstunde derselben gleich  5/4 Arbeitsstunden der Durchschnittsarbeit, einfache Ar- beit auf höherer Potenz. Der Kapitalist zahlt sie aber wie die Durchschnittsarbeit. Eine geringre Zahl Arbeits- stunden wird so gleich einer größeren Zahl Arbeitsstunden der Durchschnittsarbeit. Er bezahlt sie als Durch- schnittsarbeit und verkauft sie als das, was sie ist, höhere Arbeit, von der ein bestimmtes Quantum = einem höheren Quantum der Durchschnittsarbeit. Der Arbeiter braucht hier also nur geringre Zeit zu arbeiten, unter der Voraussetzung, als der Durchschnittsarbeiter, um denselben Wert zu produzieren. 

Er arbeitet also in der Tat geringere Arbeitszeit — als der Durchschnittsarbeiter — um das Äquivalent für seinen Arbeitslohn oder die zur Reproduktion seines Arbeitsvermögens nötigen Lebensmittel zu produzieren. Er gibt also eine größre Zahl Arbeitsstunden als Surplusarbeit dem Kapitalisten, und es ist nur diese relative Surplusarbeit, die dem letztern beim Verkauf den Überschuß des Preises der Ware über ihren Wert liefert. Er realisiert diese Surplusarbeitszeit, oder, was dasselbe, diesen Surpluswert nur im Verkauf, der also nicht aus dem Verkauf, sondern aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und daher der relativen Vermehrung der Surplusarbeitszeit herstammt. 

Selbst wenn der Kapitalist, der die neue Maschinerie einführt, höheren als den Durchschnittsarbeitslohn zahlte, rührte der von ihm realisierte Uberschuß über den normalen Mehrwert, den von den andren Kapitalisten in demselben Geschäftszweig realisierten Mehrwert, nur davon her, daß der Arbeitslohn nicht in demselben Ver- hältnis vermehrt wird, in welchem  / diese Arbeit über die Durchschnittsarbeit steigt, daß also stets eine relative Vermehrung der Surplusarbeitszeit stattfindet. Dieser Fall also auch subsumiert unter das allgemeine Gesetz, daß der Mehrwert = Surplusarbeit. 

Die Maschinerie — sobald sie kapitalistisch angewandt wird, sich nicht mehr in ihren Anfängen befindet, worin sie meist nichts als machtvolleres Handwerksinstrument ist — setzt die einfache Kooperation voraus, und zwar er- scheint diese, wie wir weiter sehn werden, als viel wichtigeres Moment in ihr wie in der auf Teilung der Arbeit beruhenden Manufaktur, wo sie sich nur im Prinzip der multiples geltend macht, i.e. nicht nur darin, daß die verschiednen Operationen unter verschiedne Arbeiter verteilt sind, sondern daß Verhältniszahlen stattfinden, worin bestimmte Anzahl von Arbeitern gruppenweis je den einzelnen Operationen zugeteilt, unter sie subsu- miert ist. Im mechanischen Atelier, der entwickeltsten Form der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie, ist es wesentlich, daß viele dasselbe tun. Es ist sogar sein Hauptprinzip. 

Die Anwendung der Maschinerie setzt ferner ursprünglich als Existenzbedingung die auf Teilung der Arbeit beruhnde Manufaktur voraus, indem die Maschinenfabrikation selbst — also die Existenz der Maschine — auf einem Atelier beruht, worin das Prinzip der Teilung der Arbeit vollständig durchgeführt. Erst auf weiterer Entwicklungsstufe findet Maschinenfabrikation selbst auf Grundlage der Maschinerie — durch mechanisches Atelier — statt. 

„In den Anfängen des mechanischen Ateliers bot eine Werkstatt dem Auge die Teilung der einzelnen Arbeiten in mannigfachen Abstufungen dar; die Feile, der Bohrer, die Drechselbank hatten ein jedes je nach dem Grad der Geschicklichkeit seine Arbeiter; aber die Fingerfertigkeit, mit der Arbeiter mit Feilen oder Bohrern umgin- gen, ist heute durch Maschinen zum Hobeln, zum Fräsen von Falzen in Holz und zum Bohren versetzt, wäh- rend die manuelle Arbeit der Eisen- und Kupferdreher von der maschinell betriebenen Drehbank übernommen wurde." (p.30, 31, Ure, 1.1, I.e.) 

Die in der Manufaktur entwickelte Teilung der Arbeit wiederholt sich einerseits im Innern des mechanischen Ateliers, obgleich in sehr vermindertem Maßstab; andrerseits, wie wir später sehn werden, wirft das mechani- sche Atelier die wesentlichsten Prinzipien der auf Teilung der Arbeit beruhenden Manufaktur über den Haufen. Endlich vermehrt die Anwendung der Maschinerie die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft, die Ver- vielfältigung der besondren Geschäftszweige und unabhängigen Produktionssphären. 

Ihr Grundprinzip ist Ersetzung geschickter Arbeit durch einfache Arbeit; also auch Reduktion der Masse des Arbeitslohns auf den Durchschnittsarbeitslohn oder Reduktion der notwendigen Arbeit der Arbeiter auf das / Durchschnittsminimum und Reduktion der Produktionskosten des Arbeitsvermögens auf die Produktions- kosten des einfachen Arbeitsvermögens. 
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 315ff.




Nota. - Als gesellschaftlich notwendige Arbeit gilt der Durchschnitt. Wer über dem Durchschnitt liegt, macht Verlust, weil sein Produkt unverkäuflich geworden ist. Wer unter dem Durchschnitt bleibt, macht einen größeren als den durchschnittlichen Gewinn - und sei es nur, weil er mehr, nämlich billiger verkauft als die andern. Das ist der springende Punkt beim Durchschnitt: Er ändert sich, indem einige darunter bleiben; aber nicht, wenn andere darüber bleiben: Die fallen einfach aus. Das ist 'Gesetz'.
JE


 

Mittwoch, 12. Dezember 2018

Das Wertgesetz gilt nur unter kapitalistischen Voraussetzungen.


Das Produkt nimmt nur allgemein die Form der Ware an - das Verhältnis der Produzenten zueinander als Ver- käufer und Käufer wird nur der sie beherrschende gesellschaftliche Zusammenhang -, wo das Arbeitsvermögen selbst zur Ware für seinen Besitzer, der Arbeiter daher Lohnarbeiter und das Geld Kapital geworden ist. Der gesellschaftliche Zusammenhang zwischen dem Geldbesitzer und dem Arbeiter ist auch nur der von Warenbe- sitzern.

Das Verhältnis modifiziert sich, bringt neue gesellschaftliche Verhältnisse hervor, durch die spezifische Natur der Ware, die der Arbeiter zu verkaufen hat und die eigentümliche Art, worin der Käufer dasselbe konsumiert, ganz wie den besondren Zweck, wozu er es kauft. Die kapitalistische Produktion führt u.a. die Teilung der Ar- beit im Innern des Ateliers mit sich, und es ist dies, wie die andren vom Kapital angewandten Produktionsmit- tel, die die Massenproduktion, daher die Gleichgiltigkeit des Gebrauchswerts des Produkts für den Produzen- ten, die Produktion für den bloßen Verkauf des Produkts als bloßer Ware weiterentwickeln.
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 311


Nota. - Nur wenn und wo das Produkt allgemein die Form der Ware angenommen hat und auf den Markt kommt, werden die Produktionskosten auf einen Durchschnitt reduziert - weil dann die Waren, die zu teuer produziert wurden, nicht verkauft werden. Nur wo ein Durchschnitt besteht, kann er um einen Mittelwert pendeln. Welcher kann das sein? Diejenige Ware, die in jedes Produkt eingeht - und das ist die Arbeitskraft. 

(Wenn freilich die lebendige Arbeit proportional schließlich gegenüber dem Wert der vergegenständlichten Ar- beit - fixes Kapital - an Bedeutung verliert, wird dieser Mittelwert schließlich zu einer quantité négligeable.)

Das Wertgesetz kann nur gelten unter der Voraussetzung entwickelter kapitalistischer Produktion; q. e. d..
JE



Dienstag, 11. Dezember 2018

Warum die Begriffsbestimmung des Kapitals beim Wert beginnen muss.


Zusätze zu α
 

Um den Begriff des Kapitals zu entwickeln, ist es nötig nicht von der Arbeit, sondern vom Wert auszugehn, und zwar von dem schon in der Bewegung der Zirkulation entwickelten Tauschwert. Es ist ebenso unmöglich, direkt von der Arbeit zum Kapital überzugehn als von den verschiednen Menschenracen direkt zum Bankier oder von der Natur zur Dampfmaschine. /

Sobald das Geld als Tauschwert gesetzt wird, der sich verselbständigt, nicht nur gegen die Zirkulation (wie bei der Schatzbildung), sondern sich in ihr erhält, ist es nicht mehr Geld, denn dies kommt als solches nicht über die negative Bestimmung hinaus, sondern ist Kapital. Daher ist auch das Geld die erste Form, worin der Tausch- wert zur Bestimmung des Kapitals fortgeht, und historisch die erste Erscheinungsform des Kapitals und wird da- her auch historisch mit dem Kapital selbst verwechselt. Für das Kapital erscheint die Zirkulation nicht nur, wie beim Geld, als Bewegung, worin der Tauschwert verschwindet, sondern worin er sich erhält und selbst der Wechsel der beiden Bestimmungen von Geld und Ware ist. In der einfachen Zirkulation dagegen wird der Tauschwert nicht als solcher realisiert. Er wird immer nur realisiert im Moment seines Verschwindens. 

Wird Ware zu Geld und das Geld wieder zur Ware, so verschwindet die Tauschwertbestimmung der Ware, die nur dazu gedient hat, für die erste Ware entsprechendes Maß der zweiten Ware (die zweite Ware im entspre- chenden Maß) zu erhalten, womit letztre dann als Gebrauchswert der Konsumtion anheimfällt. Die Ware wird indifferent gegen diese Form und ist nur noch direktes Objekt des Bedürfnisses. Wird Ware gegen Geld aus- getauscht, so verharrt die Form des Tauschwerts, das Geld, nur so lange, als es sich außer- halb des Austauschs negativ gegen die Zirkulation verhält. Die Unvergänglichkeit, die das Geld anstrebte, indem es sich negativ ge- gen die Zirkulation verhielt, erreicht das Kapital, indem es sich grade dadurch erhält, daß es sich der Zirkula- tion preisgibt. 
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Ökonomisches Manuskript von 1861-63, in Marx-Engels-Werke Band 43, Berlin 1990, S. 29f.


Nota. - Band 43 war das letzte Stück, das von der Marx-Engels-Werke-Ausgabe erschienen, schon in der Bun- desrepublik, aber noch herausgegeben vom SED-Institut.

Die MEGA hat mit der Edition des Ms. 61-63 noch nicht begonnen und ich weiß nicht, für wann sie geplant ist. Es ist Marxens erster Versuch, aus der Materialsammlung der sogenannten Grundrisse ein lesbares Buch zu machen; aber auch der erste Versuch, die Kritik der Politischen Ökonomie systematisch darzustellen: Das Buch Zur Kritik... von 1859 sollte erst der Einstimmung des fachlichen Publikums dienen, hat aber die Wirkung, die Marx unter den Gelehrten erwartet hatte, nicht erzielen. Marx hat sich 1861 also an die Ausarbeitung eines völlig neuen Werks gemacht.


Noch das Manuskript von 1863-1865 trägt viel mehr den Charakter eines 'Rohentwurfs', als die ebenfalls so un- tertitelten Grundrisse. Mit dem Band MEW 43 beginne ich eben erst. Er hat fast 500 Seiten. Ich mache mich auf einiges Durcheinander gefasst. Umso genauer müsste man zusehen können, wie Marx in diesem Teil mit den Begriffen gerungen hat. Ich bin gespannt.
JE



Sonntag, 9. Dezember 2018

Smith über produktive Arbeit III.

 
Es ist indes klar, daß in demselben Maß, wie das Kapital sich die gesamte Produktion unterwirft - also alle Ware für den Handel und nicht für den / unmittelbaren Konsum produziert wird, und in diesem Maße entwickelt sich die Produktivität der Arbeit -, auch mehr und mehr ein stofflicher Unterschied zwischen den produktiven und unproduktiven Arbeitern eintreten wird, indem die erstren, geringe Ausnahmen abgerechnet, ausschließlich Waren produzieren werden, während die letztren, mit geringen Ausnahmen, nur persönliche Dienstleistungen verrichten. Die erste Klasse wird daher den unmittelbaren, materiellen, aus Waren bestehenden Reichtum produ- zieren, alle Waren, soweit sie nicht aus dem Arbeitsvermögen selbst bestehn. Dies ist einer der Gesichtspunkte, die den A. Smith bestimmen, außer der ersten und prinzipiell bestimmenden differentia specifica andre hinzu- zufügen. 

So, durch verschiedne Ideenassoziationen durch, heißt es: 

"Die Arbeit eines Dienstboten" (im Unterschied zu der des manufacturer) fügt keinen Wert hinzu... der Unterhalt eines Dienstboten wird nie zurückerstattet. Ein Mann wird reich durch die Beschäftigung einer Vielzahl von Manufakturarbeitern; er wird arm durch den Unterhalt einer Vielzahl von Dienstboten. Die Arbeit der letzteren hat jedoch ihren Wert und verdient ihren Lohn ebenso wie die der ersteren. Aber die Arbeit des Manufakturar- beiters fixiert und realisiert sich in einem besonderen Gegenstand oder einer verkäuflichen Ware, die wenigstens noch eine Zeitlang fortbesteht, nachdem die Arbeit beendet ist. Es wird gewissermaßen eine bestimmte Menge Arbeit gesammelt und ge- speichert, um später, wenn notwendig, verwendet zu werden. Dieser Gegenstand, oder was dasselbe ist, der Preis dieses Gegenstandes, kann später, wenn notwendig, die gleiche Menge Arbeit in Bewegung setzen, die ursprünglich zu seiner Produktion er- forderlich war. Die Arbeit des Dienstboten dagegen fixiert oder realisiert sich nicht in einem besonderen Gegenstand oder einer verkäuflichen Ware. Seine Dienste vergehen gewöhnlich im Augenblick ihrer Leistung und hinterlassen selten eine Spur oder einen Wert, für den später eine gleiche Menge von Dienstleistungen be- schafft werden könnte... Die Arbeit einiger der angesehensten Stände der Gesellschaft ist, ebenso wie die der Dienstboten, nicht wertbildend und fixiert oder realisiert sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder einer verkäuflichen Ware." (1. c. p. 93, 94 passim.

Zur Bestimmung des unproduktiven Arbeiters haben wir hier folgende Bestimmungen, die zugleich die Glieder des innern Gedankengangs A. Smiths aussprechen: 

"Sie" (die labour des unproductive labourer) "unproduktiv, nicht wertbildend", "fügt keinen Wert hinzu", "der Unterhalt" (of the unproductive labourer) "wird nie zurückerstattet", "sie fixiert oder realisiert sich nicht in einem be- sonderen Gegenstand oder einer verkäuflichen Ware". Vielmehr: "Seine Dienste vergehen gewöhnlich im Augenblick ihrer Leistung und hinterlassen selten eine Spur oder einen Wert, für den / später eine gleiche Menge von Dienst- leistungen beschafft werden könnte." Schließlich: „Sie fixiert oder realisiert sich nicht in einem dauerhaften Gegen- stand oder einer verkäuflichen Ware." 

In dieser Auffassung ist das "productive of value" oder "unproductive of value" in einem andren Sinn genom- men als ursprünglich. Es bezieht sich nicht mehr auf Produktion eines Mehrwerts, welche an und für sich Re- produktion eines Äquivalents für den konsumierten Wert einschließt. Sondern die Arbeit eines Arbeiters heißt hiernach produktiv, soweit er an die Stelle des konsumierten Werts ein Äquivalent setzt, indem er durch seine Arbeit irgendeinem Material ein gleiches Quantum Wert hinzufügt, als in seinem Salair enthalten war. Hier fal- len wir aus der Formbestimmung, aus der Bestimmung der produktiven und unproduktiven Arbeiter durch ihr Verhältnis zur kapitalistischen Produktion heraus. Aus dem 9. Kapitel des 4ten Buchs (worin A .Smith die Leh- re der Physiokraten kritisiert) ersieht man, daß A. Smith zu dieser Aberration kam, teils im Gegensatz zu, teils aus Abhängigkeit von den Physiokraten. 

Wenn ein Arbeiter bloß jährlich ersetzt das Äquivalent seines Salairs, so ist er kein produktiver Arbeiter für den Kapitalisten. Er ersetzt ihm zwar das Salair, den Kaufpreis seiner Arbeit. Es ist aber ganz dieselbe Transaktion, als wenn dieser Kapitalist die Ware, die dieser Arbeiter produziert, gekauft hätte. Er zahlt die in ihrem capital constant und im Salair enthaltne Arbeit. Er besitzt dasselbe Quantum Arbeit in der Form der Ware, das er frü- her in der Form des Geldes besaß. Sein Geld wird dadurch nicht in Kapital verwandelt. In diesem Falle ist es dasselbe, als wenn der Arbeiter selbst der Besitzer seiner Produktionsbedingungen. Von dem Wert seines jähr- lichen Produkts muß er jährlich den Wert der Produktionsbedingungen abziehn, um sie zu ersetzen. Was er jährlich verzehrte oder verzehren könnte, wäre [gleich] dem Wertteil seines Produkts, gleich der jährlich seinem capital constant zugefügten neuen Arbeit. In diesem Falle fände also keine kapitalistische Produktion statt. 

Der erste Grund, warum A. Smith diese Art Arbeit "produktiv" nennt, ist, weil die Physiokraten sie "sterile" und "non productive" nennen. 

Smith sagt uns nämlich in dem angeführten Kapitel: 

"Erstens erkennen sie an, daß diese Klasse" (nämlich die industriellen Klassen, die keine Agrikultur treiben) "jährlich den Wert ihrer eigenen jährlichen Konsumtion reproduziert und mindestens die Existenz des Fonds oder Kapi- tals forterhält, der ihre Beschäftigung und ihren Lebensunterhalt garantiert... Pächter und Land-/arbeiter reproduzieren allerdings außer dem Kapital, das ihre Arbeit und ihren Lebens- unterhalt ermöglicht, noch jährlich ein Netto- produkt, eine überschüssige Rente für den Grundeigentümer... die Arbeit der Pächter und Landarbeiter ist sicher produktiver als die der Kaufleute, Handwerker und Manufakturarbeiter. Aber das höhere Produkt der einen Klasse macht die andere nicht steril und unproduktiv." (1. c., t. III, p. 530 [Garnier].) 

Hier fällt also A. Smith in die physiokratische Ansicht zurück. Die eigentlich "produktive Arbeit", die einen Mehrwert und darum "un produit net" produziert, ist die Agrikulturarbeit. Er gibt seine eigne Ansicht vom Mehrwert auf und akzeptiert die der Physiokraten. Zugleich macht er gegen sie geltend, daß die Manufaktur- (und bei ihm auch kommerzielle)-arbeit doch auch produktiv sei, wenn auch nicht in diesem eminenten Sinn des Worts. Er fällt also aus der Formbestimmung heraus, aus der Bestimmung dessen, was ein "produktiver Arbeiter" vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist; macht geltend gegen die Physiokraten, daß die non agricultural, industrial class ihr eignes Salair reproduziert, also doch einen Wert produziert gleich dem, den sie verzehrt, und dadurch "mindestens die Existenz des Fonds oder Kapitals forterhält, der ihre Beschäftigung garantiert". So entsteht, in der Abhängigkeit von und im Gegensatz zu den Physiokraten, seine zweite Bestim- mung von dem, was "produktive Arbeit" ist. 

"Zweitens", sagt A.Smith, „wäre es in diesem Zusammenhang ganz falsch, die Handwerker, Manufakturarbeiter und Kaufleute unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten wie die einfachen Dienstboten. Die Arbeit eines Dienstboten erhält keineswegs den Fonds fort, der seine Beschäftigung und seinen Lebensunterhalt garantiert. Der Dienstbote wird in letzter Instanz auf Kosten seines Herrn beschäftigt und erhalten, und seine Arbeit ist nicht derart, daß sie diese Kosten ersetzen könnte. Seine Arbeit besteht in Diensten, die gewöhnlich im Augenblick ihrer Leistung vergehen und verschwinden und sich nicht in einer Ware fixieren und realisieren, so daß man sie verkaufen und dadurch den Wert ihres Unterhalts und ihres Lohns ersetzen könnte. Dagegen fixiert und realisiert sich die Arbeit der Handwerker, Kaufleute und Manufakturarbeiter naturgemäß in einer verkäuflichen und austauschbaren Sache. Aus diesem Grunde habe ich in dem Kapitel, das von pro- duktiver und unproduktiver Arbeit handelt, Handwerker, Manufakturarbeiter und Kaufleute unter die produktiven und die Dienstboten unter die sterilen und unproduktiven Arbeiter gerechnet." (l. c. p. 531.) 

Sobald das Kapital sich der ganzen Produktion bemächtigt hat, wird sich die Revenue, soweit sie sich überhaupt gegen Arbeit austauscht, nicht / Ackerbau treibende, industrielle Klasse direkt gegen Arbeit austauschen, die Waren produziert, sondern gegen bloße Dienstleistungen. Sie tauscht sich zum Teil gegen Waren aus, die als Ge- brauchswerte dienen sollen, zum Teil gegen Services, Dienstleistungen, die als solche als Gebrauchswerte konsu- miert werden. 

Ware - im Unterschied zum Arbeitsvermögen selbst - ist ein dem Menschen stofflich gegenüberstehendes Ding von gewisser Nützlichkeit für ihn, worin ein bestimmtes Quantum Arbeit fixiert, materialisiert ist. 

Wir kommen also zu der schon sub I der Sache nach enthaltnen Bestimmung: Produktiver Arbeiter ist der, des- sen Arbeit Waren produziert, und zwar verzehrt dieser Arbeiter nicht mehr Waren, als er produziert, als seine Ar- beit kostet. Seine Arbeit fixiert sich und realisiert sich "in einer verkäuflichen und austauschbaren Sache", "in einer Ware, so daß man sie verkaufen und dadurch den Wert ihres Unterhalts und ihres Lohns ersetzen könnte" (nämlich der Arbeiter, die diese Waren produzierten). Dadurch, daß er Waren produziert, reproduziert der produktive Arbeiter bestän- dig das variable Kapital, das er in der Form des Salairs beständig verzehrt. Er produziert beständig den Fonds, der ihn zahlt, "der seine Beschäftigung und seinen Lebensunterhalt garantiert". 

Erstens schließt A. Smith natürlich ein in den travail, qui se fixe et [se] realise in a venal and exchangeable com- modity, alle intellektuellen Arbeiten, die direkt in der materiellen Produktion konsumiert werden. Nicht nur der direkte Handarbeiter oder Maschinenarbeiter, sondern overlooker, ingenieur, manager, commis etc., kurz, die Arbeit des ganzen Personals, das in einer bestimmten Sphäre der materiellen Produktion erheischt ist, um eine bestimmte Ware zu produzieren, dessen concours von Arbeiten (Kooperation) notwendig zur Herstellung der Waren ist. In der Tat fügen sie dem capital constant ihre Gesamtarbeit hinzu und erhöhen den Wert des Pro- dukts um diesen Betrag. (Wieweit dies von Bankiers etc. gilt?)

Zweitens sagt A.Smith, daß dies im ganzen, "generally", nicht mit der Arbeit der unproduktiven Arbeiter der Fall ist. Wenn auch das Kapital sich der materiellen Produktion bemächtigt hat, also im großen und ganzen die häus- liche Industrie verschwunden ist oder die des kleinen Handwerkers, der unmittelbar im Hause des Konsumen- ten ihm die Gebrauchswerte schafft, so weiß A. Smith sehr wohl, daß eine Nähterin, die ich ins Haus kommen lasse, um Hemden zu nähen, oder die Arbeiter, die Möbel reparieren, oder der Dienstbote, der das Haus wäscht, reinigt etc., oder die / Köchin, die dem Fleisch etc. die genießbare Form gibt, ganz ebenso ihre Arbeit in einem Ding fixieren und in der Tat den Wert dieser Dinge erhöhen als die Nähterin, die in der Fabrik näht, der Maschi- nist, der die Maschine repariert, die Arbeiter, die die Maschine reinigen, die Köchin, die in einem Hotel kocht als Lohnarbeiterin eines Kapitalisten. 

Der Möglichkeit nach sind diese Gebrauchswerte auch Waren; die Hemden können ins Pfandhaus geschickt werden, das Haus wieder verkauft, die Möbel versteigert werden usw. Also der Möglichkeit nach haben diese Personen auch Waren produziert und den Gegenständen ihrer Arbeit Wert zugefügt. Dies ist aber eine sehr geringe Kategorie unter den unproduktiven Arbeitern und gilt weder von der Masse der menial servants [noch von] Pfaffen, Regierungsleuten, Soldaten, Musikanten usw. 

Aber wie groß oder klein die Anzahl dieser "unproduktiven Arbeiter" sei, so viel stellt sich jedenfalls heraus und ist admitted durch dies beschränkende "seine Dienste vergehen gewöhnlich im Augenblick ihrer Leistung etc.", daß es weder notwendig die Spezialität der Arbeit noch die Erscheinungsform ihres Produkts ist, die sie "produktiv" oder "unproduktiv" machen. Dieselbe Arbeit kann produktiv sein, wenn ich sie als Kapitalist, als Produzent kaufe, um sie zu verwerten, und unproduktiv, wenn ich sie als Konsument, Ausgeber von Revenue kaufe, um ihren Gebrauchswert zu verzehren, sei es, daß dieser Gebrauchswert mit der Tätigkeit des Arbeits- vermögens selbst verschwindet oder sich in einem Ding materialisiert, fixiert. 
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Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1, Berlin (O) 1965, S. 130-135 



Nota. -  Sachlich ist es nichts anderes, als was späteer im MS. von 1863-1865 zusammengefasst wurde. Es bezeugt aber die große Akribie, mit der Marx vorgegeangen ist. Er ist stets bemüht, einen andern Autor wo irgend mög- lich besser zu verstehen, als der sich selbst.

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Theoretisch ist es bedenklich, die Formbestimmung - den 'Wert' - der Ware an ihre gegenständliche Beschaffen- heit zu knüpfen. Richtig ist: Wert hat sie nur, sofern und solange sie zirkulieren kann: an den Nächsten verkauft. Wo sie am Ende konsumiert, nämlich dem Privatbedürfnis zugeführt wird, wird sie gegen Revenü getauscht, wird mit ihrer Gegenständlichkeit auch ihr Wert verzehrt. Das ist faktisch so und hat mit der Formbestimmung, dem Begriff, gar nichts zu tun, sondern mit ihrem Gebrauchswert. 

Denn - ab hier wird es haarspalterisch - die Technologie konnte noch keine anderen als materielle Dinge zu Trägern von Gebrauchswerten machen. Hundert Jahre später führen Datensätze eine 'virtuelle' Existenz im Internet und werden übers Internet weiterverkauft. Irgendwo muss der Datensatz schon auf einem Träger aus reellem Material eingetragen sein; doch nicht der wird weiterverkauft, sondern lediglich ein Zugangscode, den einer äußerstenfalls im Kopf behalten könnte. Und er wird auch nicht verzehrt, sondern ich kann ihn weiterver- kaufen und trotzdem behalten. Im Rahmen der Wertlehre eine Absurdität...

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Der Autor, der die Erfordernis eines neuen Begriffs erkannt und ein passendes Wort eingeführt hat, ist sich viel- leicht noch nicht klar über dessen logische Reichweite und die gedanklichen Konsequenzen, die er erheischt. Oder er ist ihm selbst so neu, dass er ihn bei der Fülle des Materials gelegentlich aus dem Auge verliert, usw. So mögen sich Ungenauigkeiten in der Theorie einnisten, die sich dann zu richtigen Fehlern auswachsen. Die Kri- tik kann sich nicht begnügen, die Begriffe zu prüfen; sie muss überprüfen, wie sie verwendet werden.

Zugleich wacht sie darüber, dass die Begriffe nicht zu Scheuklappen werden. Wissenschaft besteht nicht darin, Dinge nach Rubriken zu sortieren und ordentlich zu verzeichnen wie ein konfuzianischer Beamter. Begriffe sind dazu da, Einblicke zu eröffnen. Begriffe in historischen und gesellschaftlichen Disziplinen haben ihre Zeit, eine Zeit, in der sie brauchbar sind und tieferes Verständnis ermöglichen. Eines Tages werden sie die mit der Zeit gewandelten Umstände nicht mehr recht erfassen. Und es mögen aus alten Tagen Anachronismen über- stehen und sich in stillen Winkeln Kuriositäten ausbilden. Es ist nicht Sache der Wissenschaft, ihre Begriffe rein zu halten, sondern ihre Instrumente zu pflegen. Manches muss justiert und anderes ganz ausgewechselt werden. 

Und schließlich muss man manchmal auch was links liegen lassen.
JE