Mittwoch, 19. September 2018

Produktive und unproduktive Arbeit.


Da der unmittelbare Zweck und das eigentliche Product der capitalistischen Production – Mehrwerth ist, so ist nur die Arbeit productiv, die, und nur der Ausüber von Arbeitsvermögen ein productiver Arbeiter der, unmittelbar Mehr- werth producirt, also nur die Arbeit, die direkt im Productionsproceß zur Verwerthung des Capitals consummirt wird.
 

Vom einfachen Standpunkt des Arbeitsprocesses überhaupt aus erschien uns die Arbeit productiv, die sich in einem Product, näher einer Waare realisirt. Vom Standpunkt des capitalistischen Productionsprocesses kommt die nähe- re Bestimmung hinzu, daß die Arbeit productiv ist, die unmittelbar das Capital verwerthet, oder Mehrwerth pro- ducirt, also sich ohne Equivalent für den Arbeiter, für ihren Verrichter realisirt in einer surplusvalue, dargestellt in einem surplusproduce, also einem überschüssigen Increment von Waare für den monopoliser der means of labor, für den Capitalisten; nur die Arbeit die das variable Capital und daher das Gesammtcapital setzt als C + ΔC = C + Δv. Es ist also Arbeit, die dem Capital unmittelbar als agency seiner Selbstverwerthung dient, als Mittel zur Pro- duction von Mehrwerth.
 

Der capitalistische Arbeitsproceß hebt die allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsprocesses nicht auf. Er pro- ducirt Product und Waare. Insofern bleibt die Arbeit productiv, die sich in Waaren, als Einheit von Gebrauchs- werth und Tauschwerth vergegenständlicht. Aber der Arbeitsprozeß ist nur Mittel für den Verwerthungsproceß des Capitals. Die Arbeit ist also productiv die sich in Waaren darstellt, aber, wenn wir die einzelne Waare betrach- ten, in einem aliquoten Theil derselben unbezahlte Arbeit darstellt, / oder wenn wir das Gesammtproduct be- trachten, die in einem aliquoten Theil der gesammten Waarenmasse blos unbezahlte Arbeit darstellt, also ein Product darstellt, das den Capitalisten nichts kostet. Der Arbeiter ist productiv, der productive Arbeit verrichtet und die Arbeit ist productiv, die unmittelbar Mehrwerth schafft, d. h. das Capital verwerthet. 

Blos die bürgerliche Bornirtheit, die die capitalistische Form der Production für die absolute Form derselben hält, daher für eine einzige Naturform der Production, kann die Frage, was productive Arbeit und productiver Arbei- ter vom Standpunkt des Capitals sind, verwechseln mit der Frage, was überhaupt productive Arbeit ist und sich da- her bei der tautologischen Antwort begnügen, daß alle Arbeit productiv ist, die überhaupt producirt, in einem Product, oder irgend einem Gebrauchswerth, überhaupt in einem Resultat resultirt. 

Nur der Arbeiter ist productiv, dessen Arbeitsproceß = dem productiven Consumtionsproceß des Arbeitsvermögens – des Trägers dieser Arbeit – durch das Kapital oder den Capitalisten ist. 

Es ergiebt sich hieraus sofort zweierlei: 

Erstens: Da mit der Entwicklung der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Capital oder der spezifisch capitalistischen Productionsweise nicht der einzelne Arbeiter, sondern mehr und mehr ein social combinirtes Arbeitsvermögen der wirk- liche Functionär des Gesammtarbeitsprocesses wird, und die verschiednen Arbeitsvermögen, die concurriren, und die gesammte productive Maschine bilden, in sehr verschiedner Weise an dem unmittelbaren Proceß der Waare- oder besser hier Productbildung theilnehmen, der eine mehr mit der Hand, der andre mehr mit dem Kopf ar- beitet, der eine als manager, engineer, Technolog etc, der andre als overlooker, der dritte als direkter Handarbei- ter, oder gar blos Handlanger, so werden mehr und mehr Functionen von Arbeitsvermögen unter den unmittelbaren Begriff der productiven Arbeit und ihre Träger unter den Begriff der productiven Arbeiter, direkt vom Capital ausge- beuteter und seinem Verwerthungs- und Productionsproceß überhaupt untergeordneter Arbeiter einrangirt. 

Betrachtet man den Gesammtarbeiter, aus dem das Atelier besteht, so verwirklicht sich materialiter seine combinirte Thätigkeit unmittelbar in einem Gesammtproduct, das zugleich eine Gesammtmasse von Waaren ist, wobei es ganz gleichgiltig, ob die Function des einzelnen Arbeiters, der nur ein Glied dieses Gesammtarbeiters, ferner oder näher der unmittelbaren Handarbeit steht. Dann aber: Die Thätigkeit dieses Gesammtarbeitsvermögens ist seine unmittelbare productive Consumtion durch das Capital, d. h. also Selbstverwerthungsproceß des Capitals, unmit- telbare Production von Mehrwerth, und daher, wie dieß später noch weiter entwickelt werden soll, unmittelbare Verwandlung desselben in Capital.
 
Zweitens: Die nähren Bestimmungen der productiven Arbeit folgen von selbst aus den gegebnen charakteristi- schen Merkmalen des capitalistischen Productionsprocesses. Erstens tritt der Besitzer des Arbeitsvermögens als Verkäufer desselben, irrationell, wie wir gesehn haben ausgedrückt, als direkter Verkäufer von lebendiger Arbeit, nicht von Waare, dem Capital oder dem Capitalisten gegenüber. Er ist Lohnarbeiter. Dieß ist die erste Voraussetzung. Zweitens aber, eingeleitet durch diesen vorläufigen, der Circulation angehörigen Proceß, wird sein Arbeitsver- mögen und seine Arbeit als lebendiger Factor dem Productionsproceß des Capitals unmittelbar einverleibt, wird selbst einer seiner Bestandtheile, und zwar der variirende, der nicht nur die vorgeschossenen Capitalwer- the theils erhält, theils reproducirt, sondern zugleich vermehrt und daher erst durch Schöpfung des Mehrwerths, in sich verwerthenden Werth, in Capital verwandelt. Diese Arbeit vergegenständlicht sich unmittelbar während des Productionsprocesses als fliessender Werthgrösse.
 

Es kann einerseits die erste Bedingung stattfinden, ohne daß die zweite stattfindet. Ein Arbeiter kann Lohnarbeiter, Tag- löhner etc sein. Es findet dieß jedesmal statt, wenn das zweite Moment fehlt. Jeder productive Arbeiter ist Lohnarbeiter, aber deßwegen ist nicht jeder Lohnarbeiter productiver Arbeiter. So oft die Arbeit gekauft wird, um als Gebrauchswerth verzehrt zu werden, als Dienst, nicht um als lebendiger Factor an die Stelle des Werths des variablen Capitals zu treten, und dem capitalistischen Productionsproceß einverleibt zu werden, ist die Arbeit keine productive Arbeit und der Lohnarbeiter kein productiver Arbeiter. Seine Arbeit wird dann ihres Gebrauchs- werths wegen, nicht als Tauschwerth setzend, sie wird unproductiv, nicht productiv consumirt. Der Capitalist steht ihr daher nicht als Capitalist, als Repräsentant des Capitals gegenüber. Er tauscht sein Geld gegen sie als Revenu, nicht als Capital aus. Ihre Consumtion constituirt nicht G-W-G′, sondern W-G-W (letztres die Arbeit oder der Dienst selbst). Das Geld functionirt hier nur als Circulationsmittel, nicht als Capital.

So wenig die Waaren, die der Kapitalist kauft zu seinem Privatconsum, productiv consumirt werden, Factoren des Capitals werden, so wenig die Dienste, die er freiwillig oder gezwungen (beim Staat etc) ihres Gebrauchswerths we- gen, zu seiner Consumtion kauft. Sie werden kein Factor des Capitals. Sie sind daher keine productiven Arbei- ten und ihre Träger keine productiven Arbeiter.
 

Je mehr sich die Production überhaupt als Production von Waaren ent- wickelt, um so mehr muß Jeder und will jeder Waarenhändler werden, Geld machen, sei es aus seinem Product, sei es aus seinen Diensten, wenn sein Pro- duct seiner natürlichen Beschaffenheit gemäß nur in der Form des Diensts existirt und dieß Geldmachen erscheint als der letzte Zweck jeder / Art von Thätigkeit. (Siehe Aristoteles


In der capitalistischen Production wird nun einerseits die Production der Producte als Waaren, andrerseits die Form der Arbeit als Lohnarbeit absolut. Eine Masse von Functionen und Thätigkeiten, die einen Heiligenschein um sich hatten, als Selbstzweck galten, gratis geschahen oder auf Umwegen bezahlt wurden (wie alle Profes- sionals, Aerzte, barristers etc in England, wo der barrister und der physician nicht auf Zahlung klagen konnten oder können), verwandeln sich einerseits direkt in Lohnarbeiter, so verschieden ihr Inhalt und ihre Zahlung sein mag. Andrerseits verfallen sie – ihre Werthschätzung, der Preiß dieser verschiednen Thätigkeit von der Hure zum König – den Gesetzen, die den Preiß der Lohnarbeit regeln. 

Die Entwicklung dieses letztren Punkts gehört in Spezialabhandlung über die Lohnarbeit und den Arbeits- lohn, nicht hierher. Diese Erscheinung nun, daß mit der Entwicklung der capitalistischen Production, alle Dien- ste sich in Lohnarbeit verwandeln und alle ihre Verrichter sich in Lohnarbeiter verwandeln, sie also diesen Charakter mit dem productiven Arbeiter gemein haben, giebt zur Verwechslung beider um so mehr Anlaß, weil es eine die capitalistische Production charakterisirende und durch sie selbst geschaffne Erscheinung ist. Andrerseits giebt es den Apologeten Anlaß, den productiven Arbeiter, weil er Lohnarbeiter ist, in einen Arbeiter zu verwandeln, der blos seine Dienste (d. h. seine Arbeit als Gebrauchswerth) gegen Geld austauscht. Damit wird dann glücklich über die differentia specifica dieses „productiven Arbeiters“ und der capitalistischen Production – als einer Pro- duction von Mehrwerth, als Selbstverwerthungsproceß des Capitals, dessen blose sich einverleibte agency die lebendige Arbeit ist, hinweggeschlüpft. Ein Soldat ist ein Lohnarbeiter, Söldner, aber er ist deßwegen kein pro- ductiver Arbeiter.
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Ökonomisches Manuskript 1863-1865,
MEGA II/4.1, S. 109ff. 
 
 



Nota. - Einen eigenen theoretischen Wert hat das gar nicht, sondern nur einen ideologischen, nämlich ideolo- giekritischen; so Ende des 19. Jahrhundert. Und gewann es wieder in den sechziger, siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Intellektuelle aller Sparten und namentlich ihr akademischer Nachwuchs ihre Ehre darin suchten, produktiv zu sein, und schließlich nachweisen wollten, dass sie ausgebeutet würden, um sich als Teil der Arbeiterklasse zu definieren, als deren Avantgarde sie sich vorsorglich schonmal gesetzt hatten.

Die große Masse von ihnen hat schließlich im Öffentlichen Dienst Unterkunft gefunden; mussten sich aber sagen lassen, dass sie ihr Arbeitsvermögen dort nicht gegen Kapital, sondern bloß gegen Revenü tauschen. Man kann eben nicht alles haben.
JE 

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