Die so genannte Dialektik.

franslanting
 

Fichte, Marx und Hegel. 


Im Kapitel über die Wertform* habe er "mit der hegelschen Ausdrucksweise kokettiert", schreibt Marx im Nachwort zum KapitalFür Generationen 'westlicher' Marxisten und Marxianer war das seinerseits eine Koket- terie. Zu Dutzenden und Hunderten bemühten sie sich, das Marx'sche Werk im Sinn der Hegel'schen Dialektik zu deuten, denn die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erlitten habe, verhindere ja "in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat". Man müsse sie, um ihren rationellen Kern freizulegen, lediglich 'vom Kopf auf die Füße' stellen. Vom Kopf auf die Füße – das war das unfassliche Abrakadabra des pp. Westlichen Marxismus. Darüber ist viel geschrieben worden, und ein Ende war nicht abzusehen.

Immerhin ist impliziert, dass die Dialektik bei Hegel nicht das Original, sondern eine untergeschobene Fehl- farbe ist. Tatsächlich war die Urform der neueren** Dialektik das von Fichte entwickelte analytisch-synthetische Verfahren der Wissenschaftslehre. Sie will nicht sein das spekulativ eingesehene Bewegungsgesetz der Welt, sondern die Weise, in der die Philosophie (=Kant & Fichte) das vorgefundene reale Bewusstsein der Menschen erklärt: Setzen und bestimmen ist nur möglich als entgegen-setzen. Die Begriffe sind nichts anderes als die Denkakte der Menschen, die sie in der diskursiven Darstellung so behandeln, als ob sie Fakten wären.

Die Marx'sche Kritik geht so vor, dass sie unter den überzeitlichen Begriffen der Politischen Ökonomie die ihnen zu Grunde liegenden Handlungsweisen der Menschen freilegt. Indem Marx die Hegel'sche Dialektik 'vom Kopf auf die Füße' stellte, hat er sie auf ihre Fichte'sche Urform zurückgeführt. Für Fichte wie für Marx haben Ideen, Begriffe und Gedanken Realität nur, soweit sie das Handeln wirklicher Menschen ausdrücken.


War Fichte nicht 
aber Idealist und Marx erklärtermaßen Materialist?

Idealismus hat zwei verschiedene, in einem gewissen Sinn entgegengesetzte Bedeutungen. Im landläufigen, fast umgangssprachlichen (und nicht zuletzt von Marx und Engels eingeführten) Gebrauch bezeichnet er eine Leh- re, die 
 wie zuletzt die Hegel'sche und zuerst die Plato'sche Philosophie  den Ideen, Begriffen, Vorstellungen, kurz: dem Geist eine eigene Realität zuspricht; sei es neben den Erscheinungen, sei es 'hinter' denselben als ihr 'Wesen'. In der philosophischen Schulsprache heißt dieser Standpunkt darum der realistische.

Das ist eine metaphysische, Seins-logische Aussage über die Natur der Dinge. In der Schulsprache wurde der Ausdruck Idealismus in einem kritischen, Wissens-logischen Sinn gebraucht, als Aussage über Wesen und Her- kunft unseres Erkennens, Wissens, Verstehens; als eine Antwort auf die Frage, woher unsere Vorstellungen kommen. Die Auffassung, sie gingen von den Dingen 
 lat. res  aus, heißt wiederum die realistische. Dagegen steht die idealistische Auffassung, die meint, sie gingen  umgekehrt  vom Sehenden aus: gr. idein = sehen. In diesem Sinn war Fichte der Radikalste unter den Idealisten.

Ein kritischer oder, wie Fichte (mit Kant) sagt, "transzendentaler" Idealist kann logischerweise kein Ideen-Realist sein. Er kann sich zu metaphysischen, Seins-logischen Fragen überhaupt nicht äußern, denn nach seiner Vor- aussetzung kann er von einem 'Wesen' der Dinge 'hinter' ihrer Erscheinung ja nichts wissen; er kann nicht ein- mal sinnvoll danach fragen. Aber die Erscheinungen leugnet er nicht, sie sind vielmehr die einzigen Realitäten, die er kennt. Real ist nur, was angeschaut wird. Angeschaut wird jedoch, was im Raum ist. Was aber im Raum ist, ist nach Fichte Materie. So dass ein transzendentaler Idealist zwar kein metaphysischer Materialist sein kann; aber eine Forschung kann er nur als Wissenschaft achten, soweit sie materialistisch verfährt: nichts gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit nachweisen lässt.

Zu wissenslogischen Fragen wiederum hat Marx sich theoretisch nicht geäußert. Aber indem er die dialektische Methode aus einer Selbstbewegung der Idee in ein Sezierbesteck des kritischen Subjekts zurückverwandelte, hat er sie praktisch beantwortet.

Ein Hegelianer in metaphysischem, ideenrealistischen Sinn war Marx nicht. Hegels Dialektik hat er ihrer meta- physischen, ideenrealistischen Verhüllung entkleidet und subjektiviert - und hat sie, ohne Fichte zu kennen, an ihren ursprünglichen Platz gesetzt. 

*

Ach, das ist grob und schematisch, ich weiß. Es ließe sich noch Vieles daran anknüpfen, aber das ist der sprin- gende Punkt: anknüpfen. Es ist ganz allgemein, aber in dieser Allgemeinheit trifft es zu. Folgen mögen Spezifizie- rungen und Konkretisierungen; aber keine Einschränkungen noch Relativierungen.

*) im Anhang zur ersten Auflage des I. Bands, 1867

**) im Unterschied zu dem scholastischen Begriff, der auf Plato zurückging und nur eine rhetorische Methode des Argumentierens bedeutete.


Kokettieren und auf den Kopf stellen.



Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.

Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.

Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie* mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.


In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie / dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
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Das Kapital I, MEW 23, S. 27f.Nachwort zur 2. Auflage

*) [im Anhang zur 1. Auflage, 1867]

 

 

Die pragmatische Wiederherstellung der kritischen Methode.


Begriffe ohne Anschauung sind leer, hatte Kant den rationalistischen Dogmatikern seiner Zeit, zu denen er eben noch selbst gehört hatte, hinter die Ohren geschrieben. Begriffe werden nicht ergriffen, sondern vom reflektierenden Verstand aus Anschauungen gemacht. Das sollte als Die Kopernikanische Wende der Philoso- phie in die Lehrbücher eingehen. Doch Kant war noch keine zehn Jahre tot, da geisterte der Begriff schon wieder als sich selbst bewegendes Subjekt/Objekt durch die Metaphysik.

Dazwischen lag eine wahrhaftige Konterrevolution im Denken. Der Begriff erhebt sich als Absoluter Geist über alle Realität und verleibt sich selbst noch die Iche ein, die Geschichte, die ganze Welt ist nichts als die Parusie des Begriffs, eine zyklische Bewegung, in der er, durch die Endlichkeit hindurch, am Ende doch wieder zu sich zurückkehrt.

In der Gestalt des Hegel'schen Systems kehrte der dogmatische Rationalismus - mit mystizistischen Strähn- chen, das ist wahr - für drei Jahrzehnte zur Herrschaft zurück und vermochte selbst die literarische Erinnerung an die Kritische, die Transzendentalphilosophie zu tilgen.

Dem hat das Aufkommen der Hegel'schen Linken im deutschen Vormärz nicht wirklich Abhilfe geschaffen. Die Hegel'sche Schule war im wilden Bacchanal der Kritischen Kritik zerfallen, das war alles. An eine Rückkehr zum weiland mutwillig abgerissenen transzendentalen Ansatz dachte von den Philosophen keiner.

Nicht als Philosoph hat Marx die Hegel'sche Mystifikation überwunden, sondern als Historiker und Kritiker der Politischen Ökonomie. Sein wissenschaftliches Lebensthema war ihm von Engels in den Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie vorgegeben worden, und lange glaubte er, das lückenhafte Klassische System der Politischen Ökonomie nach Hegels dialektischer Methode vervollständigen zu sollen. Und da fand sich, dass nicht die Begriffe sich bewegen, sondern die wirklichen historischen Subjekte. Unter großen Mühen kam er schließlich dazu, den Begriff auf sein kritisch gebotenes Maß zurückzuführen: als kritisches Instrument in der Hand des analysierenden Historikers. Dessen bestimmte Aufgabe ist gerade, die Stellen ausfindig zu machen, die von den Begriffen nicht 'erfasst' werden, und an denen der historische Bericht die Lücke füllen muss: Nicht der Wertbegriff begründet das Kapital, sondern die Vertreibung des Landvolks vom Boden begründet das Wertgesetz.

Marx hat Fichte nicht gelesen, das lässt sich (fast) schlüssig dokumentieren und bei Gelegenheit werde ich das tun; die Dialektik in ihrer ursprünglichen, kritischen und rationellen Gestalt in Form des Fichte'schen analy- tisch-synthetischen Verfahrens, hat er nicht gekannt. Er hat auch nicht mit metatheoretischen Spekulationen über die richtige Methode begonnen, sondern mit der Analyse selbst, und musste die gebotene kritische Wen- dung auf denkpragmatischem Weg an der Stelle einführen, wo sie unvermeidlich wurde.

Nicht der Begriff 'schlägt um', sondern ein Begreifender wechselt den Gesichtspunkt, das ist das ganze Ge- heimnis der pp. Dialektik.

*

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Ruhe, in dieser Ruhe wird das, was eigentlich ein Täti- ges ist, ein Gesetztes; es bleibt keine Tätigkeit mehr, sondern ein Produkt, aber nicht etwa ein anderes Produkt als die Tätigkeit selbst, kein Stoff, kein Ding, welches vor dem Vorstellen des Ich vorherging; sondern bloß das Handeln wird dadurch, dass es angeschaut wird, fixiert; so etwas heißt ein Begriff, im Gegensatz der Anschau- ung, welche auf die Tätigkeit als solche geht.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 32f. 


Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff... Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst. ...

Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusst- seyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung / vor der Anschauung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst. 
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ders., Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,[1797] SW I, S. 533f.



Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus. 
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ders., Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182


*

Derlei Reflexionen finden sich bei Marx nicht. Er bleibt eng an seinem Gegenstand, nur nebenher spottet er über das statische Denken der Begriffshuber.* Es geht aber um die Methode, die er an seinem Gegenstand tatsächlich entwickelt, und nicht um das, was er darüber sagt. 
*) s. Randglossen zu A. Wagners "Lehrbuch der politischen Ökonomie", MEW 19, S. 373

30. 8. 15

 

 

Der dialektische Schein.

Pankration

Marx hat die Hegel'sche Dialektik, wie er sagte, "vom Kopf auf die Füße" gestellt: Während bei Hegel das 'Ganze' von seinem inneren (begrifflichen) Widerspruch in Bewegung  - These-Antithese-Synthese - gehalten wird, ist es bei Marx das verstehende Subjekt, das seine Vorstellungen nur durch Entgegensetzen bestimmen kann. Also nicht die Geschichte selbst 'verfährt dialektisch', sondern der kritische Wissenschaftler muss dialek- tisch verfahren, wenn er sie reale Entwicklungsdynamik durchschauen will. 

Die reale Entwicklungsdynamik wird dominiert nicht von logischen Widersprüchen, sondern von realen Anta- gonismen, und die lösen sich nicht "synthetisch" in einer Höheren Einheit, sondern praktisch durch Kampf, Sieg und Niederlage.

7) Kein Realsubjekt, keine Realdialektik

— Zwischen dem Arbeitsvermögen als transzendentalem Begriff und seinem Gegensetz: dem ‘Arbeits- mitttel‘,  (bzw. ’Kapital’) waltet allerdings eine ’Dialektik’: nämlich Wechselbestimmung durch Entgegen- setzung; aber eben nur zwischen den Begriffen, wo sie auch hingehört;

— zwischen den empirisch gegebnen Proletariern und den ebenso empirisch gegebnen Kapitalisten herrscht keine ‘Dialektik’, nicht einmal begrifflich: denn selbst begrifflich sind erstere lediglich  O b j e k t e  der letzteren, ‘Leiden’ ohne ‚Tätigkeit‘,  Rezeptivität ohne Spontaneität;

— und schließlich zwischen der ‘Arbeiterklasse‘ als politischem Begriff, praktischem Postulat — nämlich immer unter der Voraussetzung, daß sie wirklich als solche handelt — und der Kapitalistenklasse (nicht: “dem Kapital”!) herrscht keine ‘Dialektik’ (=Wechselbestimmung), sondern — ggf. — ein  r e a l e r   A n t a g o n i s m u s,  alias “Klassenkampf”: endend nicht in der ‘Synthese’, “Aufhebung” beider in eine “höhere Kategorie”, sondern…  S i e g  der einen über die andre…

Was sich in der Vorstellung nun wieder so ausdrücken läßt, daß ‘das Arbeitsvermögen’ mit ‚dem Arbeits- mittel‘ wieder ‘vereinigt’ wird (“Aufhebung der Teilung der Arbeit durch ihre Vollendung“), wobei man allerdings die (“idealistische”) Vorstellung fernzuhalten hat, als ob das, was durch die Wechselbestimmung der  B e g r i f f e  als logische Notwendigkeit erscheint, in der wirklichen Geschichte der empirischen Individuen eine real wirkende  K r a f t (“Entwicklungsgesetz”) wäre.
Denn in dem wissenschaftlichen Modell, das die ‘Kritik der politischen Ökonomie’ vom Gesamtprozeß der kapitalistischen Reproduktion entwirft, nämlich wo die ‘Kritik’ selber  T h e o r i e  ist, die das tatsächliche Geschehen ‘erkennen’ will; also in der ökonomischen Theorie geht die kapitalistisch Produktionsweise  n i c h t  an der Aktion der Verkäufer von Arbeitskraft zugrunde, sondern… am Fall der Profitrate! Und dies allerdings ‘notwendig‘, d.h. mit realer Kausalität; aber der kapitalistische  Z u s a m m e n b r u c h,  den die Theorie als empirisch unausweichlich darstellt,* ist ganz und gar nicht das “Aufgehen in die höhere Kate- gorie” (=”Kommunismus”); sondern kann, als rein negativ bestimmt, sehr wohl als “Untergang in der Bar- barei” stattfinden.
Das ‘Aufheben’ der durch den Kapitalismus herbeigeführten Verallgemeinerung der Bedürfnisse und Univer- salisierung des Verkehrs in eine ‘höhere‘ Form muß ein besonderer empirischer  A k t  sein (der weder fak- tisch noch logisch durch den “automatischen Zusammenbruch” bedingt ist, jedenfalls nicht notwendig), näm- lich die “proletarische Revolution”, eine  p r a k t i s c h e  Kategorie: eine ‘Idee’ insofern, als sie als Vorstel- lung konstitutiv ist bei der Bildung der Proletarier zur Klasse ‘für  sich für sich‘…; und die ‘Arbeiterklasse muß nach dieser ‘Idee’  h a n d e l n,  um zu  ’s e i n’.

*) Zugleich zählt Marx aber alle Faktoren auf, die im tatsächlichen Verlauf der kapitalistischen Reproduktion dem Fall der Profitrate tagtäglich entgegenwirken – Kapitalvernichtung durch Krisen und Kriege, Kapitalent- wertung durch technische  Revolution… Sie alle können die Tendenz zum Sinken der Profitrate nicht aufhe- ben; aber sie können das Sinken der Profitrate im gegebenen Moment verhindern. So dass das Sinken der Profitrate einmal eintreten muss; man kann nur nicht wissen, wann, und vielleicht… werden wir es nie erleben. 

 

 

Apagogische Dialektik, oder: Freiheit ist Verschwendung.

Picasso, Bacchanal

Reichtum ist: die Zeit zu haben, etwas völlig Zweckloses zu tun, und darum ist "Reichtum" der Schlüsselbegriff der Kritik der Politischen Ökonomie - im Gegensatz zu "Wert" und "Arbeit": nicht die Verausgabung von Kraft, sondern Verschwendung: das ist Reichtum, Luxus, Freiheit... 

Dabei wäre also die Kritik eine Inquiry into the Very Nature of the Wealth Of Nations, weil nämlich der Begriff Reichtum als Leerformel übernommen wird: Es wird gewissermaßen "konzediert", dass es einen wissenschaft- lich identifizierbaren Bereich namens 'die Ökonomie' gebe, dessen Inhalt 'Erzeugung und Verteilung des Reich- tums' sei - "was immer man auch einstweilen darunter verstehen wolle..."  

Der apagogische Charakter der Darlegung sieht so aus:

1. Es gibt ein identifizierbares Reich 'des Ökonomischen';

2. dessen Inhalt ist: Wesen und Ursache (=Produktion) des 'Reichtums'; 

3. Reichtum ist Tauschwert und Tauschwert ist Arbeit.

Das sind die dogmatischen Pfeiler der Politischen Ökonomie. Und die konzediert M. am Eingang seiner Dar- stellung (tatsächlich am Eingang seiner Untersuchung selbst), und dann widerlegt er die Bestimmung des Reich- tums als "Wert"="Arbeit" durch eine consecutio ad absurdum: Er "reitet das Argument zu Tode", indem er die Konsequenzen in den Widerspruch zu den Prämissen treibt: Das ist die Standardform apagogischer Beweisführung: eine Demonstration "ex concessis", aber keineswegs so, dass der Gegner auf Argumente festgelegt wird, die er mir zugeben muss, sondern so, dass ich ihm seine Prämissen einräume, und vorführe. dass auf diesem "Grund" kein Gebäude zu errichten ist.

Konkret: dass der Reichtum nicht (Wert=) Arbeit ist, sondern im Gegenteil der Überfluss im Gegensatz zur Arbeit (welche 'notwendige', 'naturbestimmte' Tätigkeit ist, nicht 'freie'='selbstbestimmende').

Es liegt aber in der Natur des apagogischen Beweises, dass er zwar in concreto widerlegt, aber nicht - wo er positiv ist - seinen eigenen 'Standpunkt' (positio) 'begründet'; abstrakt ist: rein formal, "lemmatisch".

Also: Es zeigt sich, dass der 'Inhalt' des 'Reichtums' nicht, wie bei Smith/Ricardo, "Arbeit" ist, sondern 'Frei- heit'; aber wo also "Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig, als Verteidigung, d.i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben, und darum die Freiheit dreust vor unmöglich erklären." Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, B/A 121

So Vilfredo Pareto: "Le Capital n'set, par rapport au reste de l'oeuvre de Marx, qu'un appendice destiné à débla- yer le terrain des objections qu'on pourrait faire à la doctrine [communiste] en se fondant sur l'économie politi- que." (zit. nach Alain Barrère, Histoire de la pensée économique et analyse contemporaines, Paris 1974, S. 433)

[ Wobei zu beachten, dass M. am Beginn seiner kritischen Arbeit - teste Grundrisse bis "ursprüngliche Akkumu- lation" - die Prämissen - "Kategorien" - der Politischen Ökonomie nicht "zum Schein", sondern allen Ernstes eingeräumt hat: Er hat sich daran gemacht, "das Kapital" aus "dem Wert" [="der Arbeit"] zu "erklären" - und es ist ihm nicht gelungen - weil er auf das Faktum der Unfreiheit = 'Notdurft' = "urspüngliche Akkumulation" gesto- ßen ist!]

- Freileich: Wenn der 'Reichtum' nun nicht mehr positiv bestimmt ist, nicht (mehr) "konkret" erscheint, geht es auch nicht an, ihn als besonderen Bereich der "menschlichen Lebenstätigkeit" aufzufassen. Er ist dann aufgelöst ins Allgemeine: 'Setzen der Freiheit', und ergo verliert "die Ökonomie" ihren Status als besondere Wissenschaft - und wird zur Propädeutik der Geschichtswissenschaft (welche die einzige ist, die "wir kennen", cf. Deutsche Ideologie) - insofern in ihr die "Anatomie der bürgerliche Gesellschaft" erscheint; sofern diese nämlich 'naturwüchsiges' Pro- dukt der 'Notdurft' ist; während die jedoch zugleich 'als' Produkt der Freiheit 'gelten' soll, d.h. "praktisch": es werden soll.

23. 11. 88 


Nachtrag. Eine theoretische Wissenschaft 'Politische Ökonomie' gibt es seither tatsächlich nicht mehr. Was jeweils als 'Volkswirtschaftslehre' o. ä. firmiert, ist eine Art Wirtschaftspolitologie; eine technische Disziplin, die mehr oder minder mathematisierte Modelle entwirft, die es den Regierungen erlauben sollen, auf den Wirt- schaftsverlauf gezielten Einfluss zu nehmen. Bisher hat noch jede die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht.
JE, 12. 12. 16






Apagogische Dialektik II.

Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muss zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. 
____________________________
Das Kapital I, MEW 23, S. 180 


Das ist ein di-lemma: ein Wegweiser, der zugleich in zwei direkt entgegengesetzte Richtungen zeigt. Oder eine a-porie - eine Kluft, wo es 'keine Brücke' gibt?

Man muss die Reflexionsebene wechseln: Vielleicht findet sich bei höherer Abstraktion ein Gesichtspunkt, unter dem sich beide Aussagen vereinigen lassen. Auf dem gegenwärtigen Gesichtspunkt erscheinen Produk- tion und Zirkulation als zwei getrennte Bereiche: Die einzelne Ware befindet sich zuerst in dem einen und dann in dem andern. Betrachten wir aber den Gesamtprozess, dann handelt es sich nicht um eine Reihe von 'Schrit- ten', sondern um einen Fluss, in jedem zu betrachtenden Moment geschieht alles gleichzeitig und auf einmal: In der Wirklichkeit des Zeitverlaufs ist die bürgerliche Gesellschaft Produktions- und Zirkulationprozess zugleich. Auf diesem Standpunkt kann das Kapital aus der Zirkulation entspringen und nicht aus ihr entspringen.

So kann auch einer räsonnieren, der von Hegelscher Dialektik imprägniert ist: 'Auflösung des Widerspruchs in einer höheren Einheit'. Allerdings muss er, wenn er das System der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet, still- schweigend von der spiritualistischen ('idealistischen', sagt Marx) Prämisse Abstand genommen haben, dass dieser Aufstieg in eine höhere Einheit von den Begriffen selbst besorgt würde. Es ist 'der Ökonom', der Kritiker der Politischen Ökonomie, der sich auf einen höheren Standpunkt begibt - und den ökonomischen Dogmatikern vorwirft, es nicht zu tun.


Marx hat, wie er beabsichtigte, die Dialektik der "Mystifikationen" entkleidet, die sie unter Hegels Hand erfahren hatte; befreit von dem Zusatz, durch den jener verschleiern wollte, dass das Original... bei Fichte geklaut war. Bei Fichte sind es nicht die Vorstellungen (die 'Begriffe' schon gar nicht), die sich vorwärtsbe- wegen, sondern es ist immer der Vorstellende, der handelt; und es ist 'der Philosoph', der seinen Vorgang reflektierend begleitet - und dabei von einer Abstraktionsebene zur nächsten aufsteigen muss.

Ursprünglich, bei Fichte, war Dialektik kritisch. Unter Hegel wurde sie dogmatisch. Bei Marx wird sie wieder kritisch.







Die Bedingungen für die Entstehung des Systems sind nicht die Regeln seines Fortbestands.


Wenn z. B. das Weglaufen der Leibeignen in die Städte eine der historischen Bedingungen und Vorausset- zungen des Städtewesens ist, so ist es keine Bedingung, kein Moment der Wirklichkeit des ausgebildeten Städtewesens, sondern gehört zu seinen vergangnen Voraussetzungen, den Voraussetzungen seines Werdens, die in seinem Dasein aufgehoben sind. Die Bedingungen und Voraussetzungen des Werdens, des Entstehns des Capitals unterstellen eben, daß es noch nicht ist, sondern erst wird; sie verschwinden also mit dem wirklichen Capital, mit dem Capital das selbst, von seiner Wirklichkeit ausgehend, die Bedingungen seiner Verwirklichung sezt. 

So z. B. wenn bei dem ursprünglichen Werden des Geldes oder des für sich seienden Werths zu Capital eine Accumulation – sei es durch Ersparung an den durch eigne Arbeit geschaffnen Producten und Werthen etc – auf Seiten des Capitalisten vorausgesezt ist, die er als Nichtcapitalist vollbracht hat – wenn also die Voraus- setzungen des Werdens des Geldes zu Capital als gegebne äussere Voraussetzungen für die Entstehung des Capitals erscheinen – so, sobald das Capital als solches geworden ist, schafft es seine eignen Voraussetzungen, nämlich den Besitz der realen Bedingungen für Schöpfung von Neuwerthen ohne Austausch – durch seinen eignen Productionsprocess. 

Diese Voraussetzungen, die ursprünglich als Bedingungen seines Werdens erschienen – und daher noch nicht von seiner Action als Capital entspringen konnten – erscheinen jezt als Resultate seiner eignen Verwirklichung, Wirklichkeit, als gesezt von ihm – nicht als Bedingungen seines Entstehens, sondern als Resultate seines Daseins. Es geht nicht mehr von Voraussetzungen aus, um zu werden, sondern ist selbst vorausgesezt, und von sich ausgehend, schafft die Voraussetzungen seiner Erhaltung und Wachsthums selbst. 
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Grundrisse, MEGA II/1.2,  S. 368 [MEW 42, S. 372]


Nota. - Der 'Grund' eines Systems liegt außerhalb seiner und kommt in ihm nicht vor, und die immanente, "logische" Analyse kann ihn nicht ergründen. - Dieser Gedanke kommt in der ontologischen Dialektik Hegels natürlich nicht vor: Da ist durchgehend das Eine, als Substanz gefasste Große Subjekt am Wirken. Nun ist Hegels Dialektik eine dogmatische Parodie der kritischen, analytisch-synthetischen Methode Fichtes. Der Gedanke, dass der Grund eines Systems nur außerhalb seiner gefunden werden kann, ist dort ein durchgängiges Denk- motiv. Wer das, was an Hegel allenfalls brauchbar ist, vom Kopf auf die Füße stellen will, wird sich bei Fichte wiederfinden.
JE, 28. 8. 15



Im Produkt setzt das Subjekt seine Tätigkeit als gegenständliches Sein.


Also: Der Rohstoff wird consumirt, indem er verändert wird, geformt durch die Arbeit, und das Arbeitsinstru- ment wird consumirt, indem es verbraucht wird in diesem Process, aufgenuzt wird. Andrerseits wird die Arbeit ebenfalls consumirt, indem sie angewandt, in Bewegung gesezt wird und so ein bestimmtes Quantum Muskel- kraft etc des Arbeiters verausgabt wird, wodurch er sich erschöpft. 

Aber sie wird nicht nur consumirt, sondern zugleich aus der Form der Thätigkeit in der des Gegenstandes, der Ruhe fixirt, materialisirt; als Veränderung des Gegenstandes verändert sie ihre eigne Gestalt und wird aus Thä- tigkeit Sein. Das Ende des Prozesses ist das Product, worin der Rohstoff als mit der Arbeit verbunden erscheint, und das Arbeitsinstrument aus der blosen Möglichkeit sich ebenfalls in Wirklichkeit übersezt hat, indem es zum wirklichen Leiter der Arbeit geworden, damit aber, durch seine mechanische oder chemische Beziehung zum Arbeitsmaterial, selbst in seiner ruhenden Form aufgezehrt worden ist. 

Alle 3 Momente des Processes, das Material, das Instrument, die Arbeit fallen zusammen in ein neutrales Resul- tat – das Product. In dem Product sind zugleich reproducirt die Momente des Productionsprocesses die in ihm aufgezehrt worden sind. Der ganze Process erscheint daher als productive Consumtion, d. h. als Consumtion, die weder im Nichts endet, noch in der blosen Subjectivirung des Gegenständlichen, sondern die selbst wieder als ein Gegenstand gesezt ist. 

Das Verzehren ist nicht einfaches Verzehren des Stofflichen, sondern Verzehren des Verzehrens selbst; im Auf- heben des Stofflichen Aufheben dieses Aufhebens und daher Setzen desselben. Die Form-/gebende Thätigkeit ver- zehrt den Gegenstand und verzehrt sich selbst, aber sie verzehrt nur die gegebne Form des Gegenstands um ihn in neuer gegenständlicher Form zu setzen, und sie verzehrt sich selbst nur in ihrer subjektiven Form als Thätigkeit. Sie verzehrt das Gegenständliche des Gegenstandes – die Gleichgültigkeit gegen die Form – und das Subjektive der Thätigkeit; formt den einen, materialisirt die andre. Als Product ist aber das Resultat des Pro- ductionsprozesses Gebrauchswerth
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Grundrisse, MEGA II/1.1, S. 220f. [MEW 42, S. 221f.]



Nota. - Ist das Hegel'sche Dialektik? Nein, es ist Fichte'sche Dialektik. Worin besteht der Unterschied? In dem, was fehlt, und dem, was da ist. Es fehlt der Begriff, der sich selbst bewegt, aber da ist das tätige Subjekt, näm- lich das arbeitend produzierende. - Es ist wirklich nur Hegels Ausdrucksweise, mit der Marx kokettiert, aber nicht seine Denkweise..
JE

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