Samstag, 30. Juni 2018

Gesellschaftlicher Gebrauchswert.

 

Es ist in der That das Gesetz des Werths, wie es sich geltend macht, nicht in Bezug auf die einzelnen Waaren oder Artikel, sondern auf die jedesmaligen Gesammtprodukte der besondren, durch die Theilung der Arbeit verselbständigten gesellschaftlichen Produktionssphären; sodaß nicht nur auf jede einzelne Waare nur die nothwendige Arbeitszeit verwandt ist, sondern daß von der gesellschaftlichen Gesammtarbeitszeit nur das nöthige proportionelle Quantum in den verschiednen Gruppen verwandt ist.

Denn Bedingung bleibt der Gebrauchswerth. Wenn aber der Gebrauchswerth bei der einzelnen Waare davon abhängt, daß sie an und für sich ein Bedürfniß befriedigt, so bei der gesellschaftlichen Produktenmasse davon, daß sie dem quantitativ bestimmten gesellschaftlichen Bedürfniß für jede besondre Art von Produkt adäquat, und die Arbeit daher im Verhältniß dieser gesellschaftlichen Bedürfnisse, die quantitativ umschrieben sind, in die verschiednen Produktionssphären proportionell vertheilt ist. (Dieser Punkt heranzuziehn bei der Verthei-lung des Kapitals in die verschiednen Produktionssphären.) 

Das gesellschaftliche Bedürfniß, d. h. der Gebrauchswerth auf gesellschaftlicher Potenz, erscheint hier bestim-mend für die Quota der gesellschaftlichen Gesammtarbeitszeit, die den verschiednen besondren Produktions- sphären anheimfallen. Es ist aber nur dasselbe Gesetz, das sich schon bei der einzelnen Waare zeigt, nämlich: daß ihr Gebrauchswerth Voraussetzung ihres Tauschwerths und damit ihres Werths ist. Dieser Punkt hat mit dem Verhältniß zwischen nothwendiger und Mehrarbeit nur soviel zu thun, daß mit Verletzung dieser Propor- tion der Werth der Waare, also auch der in ihm steckende Mehrwerth, nicht realisirt werden kann. 
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Das Kapital III, MEGA II.15; S. 623f. [MEW 25, S. 648f.]


Nota. - Noch so eine Stelle, wo der Gebruchswert 'in den Tauschwert eingreift': Es reicht nicht, dass die gesellschaftliche Gesamtproduktion überhaupt 'Bedürfnisse befriedigt'; es muss sie schon auch in der richtigen Proportion befriedigen. Wird zuviel produziert, bleibt einwandfreie Ware liegen, und es ist so gut, als wäre die in ihr verausgabte Arbeit dem gesellschaftlichen Bedürfnis an sich nie angemessen gewesen. In der Praxis würde das Produkt im Preis herabgesetzt und unter Wert verkauft - als ob ihre Qualität gemindert (und nicht, wie bei einer Absatzkrise, das verausgabte Arbeitsquantum vergeudet) wäre. - Das ist spitzfindig, doch die Spitzfindig- keit liegt in der Sache.

(Dass als Bedürfnis nur ein solches gilt, das als solvente Nachfrage auf den Markt kommt, spielt hier noch gar keine Rolle.)
JE


Freitag, 29. Juni 2018

Tausch- und Gebrauchswert II.

Erziehung?

Es wäre also, wie aus dem obigen hervorgeht, reine Faselei, bei Analyse der Ware - weil sie sich einerseits als Gebrauchswert oder Gut, andrerseits als „Wert“ darstellt - nun bei dieser Gelegenheit allerlei banale Reflexio- nen über Gebrauchswerte oder Güter „anzuknüpfen“, die nicht in den Bereich der Warenwelt fallen, wie „Staatsgüter“, „Gemeindegüter“ etc., wie es Wagner und der deutsche Professor in general tut, oder über das Gut „Gesundheit“ etc.

Wo der Staat selbst kapitalistischer Produzent, wie bei Exploitation von Minen, Waldungen etc., ist sein Pro- dukt „Ware“ und besitzt daher den spezifischen Charakter jeder andren Ware. Andrerseits hat der vir obscurus übersehn, daß schon in der Analyse der Ware bei mir nicht stehngeblieben wird bei der Doppelweise, worin sie sich darstellt, sondern gleich weiter dazu fortgegangen wird, daß in diesem Doppelsein der Ware sich darstellt zwiefacher Charakter der Arbeit, deren Produkt sie ist: der nützlichen Arbeit, i.e. den konkreten Modi der Arbei- ten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als Verausgabung der Arbeitskraft, gleich- gültig in welcher „nützlichen“ Weise sie verausgabt werde (worauf später die Darstellung des Produktionspro- zesses beruht); 


daß in der Entwicklung der Wertform der Ware, in letzter Instanz ihrer Geldform, also des Geldes, der Wert einer Ware sich darstellt im Gebrauchswert der andern, d.h. in der Naturalform der andern Ware; daß der Mehrwert selbst abgeleitet wird aus einem „spezifischen“ und ihr exklusive zukommenden Gebrauchswert der Arbeitskraft etc. etc.; <371> daß also bei mir der Gebrauchswert eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Ökonomie, daß er aber notabene immer nur in Betracht kommt, wo solche Betrachtung aus der Analyse ge- gebner ökonomischer Gestaltungen entspringt, nicht aus Hin- und Herräsonieren über die Begriffe oder Worte „Gebrauchswert“ und „Wert“.
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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 370f. 



Nota. - "Daß also bei mir der Gebrauchswert eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Öko- nomie" - dies ist, theoretisch besehen, der wesentliche Unterschied zwischen der Politischen Ökonomie und der Marx'schen Kritik. Die Politische Ökonomie hat in der Tat von Qualitäten gänzlich abgesehen und sich auf die 'Formseite' beschränkt (was die Wagner'sche Begriffswirtschaft überhaupt erst möglich macht). Dem entspricht vollkommen ihr Desinteresse am historisch-Konkreten. Ihre Welt ist die Abstraktion, in der die urteilend täti- gen Menschen untergehen. 

Das Kapital verstehen heißt die Herkunft des Mehrwerts erkennen. Und das ist die: Wie alle Waren, hat auch die Arbeitkraft zwei Seiten - einen Gebrauchs- und einen Tauschwert. Doch ihr Gebrauchswert ist die leben- dige produktive Arbeit selbst, und die gehört dem Kapitalisten, der sie gekauft hat. Dem Arbeiter bleibt ledig- lich der Tauschwert, und der besteht aus den Reproduktionskosten der Arbeitskraft. Die Differenz zwischen diesen beiden, dem Produkt der Arbeit und den Reproduktionskosten der Arbeitskraft, ist der Mehr wert. Die bloße Formanalyse kann das nie erkennen. Es wurde ein Rückgriff in die Realgeschichte notwendig.

Das Qualitative lässt sich, wie das Historische, nur anschauen. Die Konstruktion aus Begriffen jedoch kann nur Verhältnisse beschreiben - aber nicht, was sich verhält. Wer diese statt der andern Methode wählt, gibt zu er- kennen, worauf er hinauswill. 

Das ist nicht nur 'am Grunde' der Kritik der Politischen Ökonomie so. Es bewährt sich auch an ihrem Schlussstein, dem 'tendenziellen Fall der Profitrate':

Mit dem wachsenden Anteil des fixen Kapitals (=Maschinerie) am Gesamtwert und schrumpfendem variablen Kapital wird der Anteil des Mehr werts am Gesamtkapital immer geringer, wäh- rend er im Verhältnis zum va- riablen Kapital astronomische Höhen erreicht. Die Mehrwertrate ist das Verhältnis des Werts der unbezahlten Mehrarbeit zum Wert der Artbeitskraft = Arbeitslohn. Seinen Profit misst der Kapitalist aber nicht am Verhält- nis zum Arbeitslohn, sondern am Verhältnis zum gesamten vorgeschossenen Kapital. Mit wachsender organi- scher Zusammensetzung, d. h. Anteil des fixen Kapitals am Gesamtkapital, wird daher die Mehrwertrate zwar steigen, die Profitrate aber fallen. Es wird sich immer weniger lohnen, in die Industrie zu investieren.

Das lässt sich überhaupt nicht in Formeln und Begriffe fassen. Es kann, wenn es soweit ist, nur rein faktisch beschrieben werden. Das bedeutet zu allem Überfluss: Ob es aber überhaupt je soweit kommt, lässt sich nicht theoretisch beurteilen. Es ist kein Verhältnis darzustellen, sondern ein Faktum müsste eintreten, doch wenn nicht, dann nicht.

*

Dass Marx sich so umfänglich an Adolph Wagner aufgehalten hat, ist politisch begründet. Nicht nur war Wagner eine akademische Autorität ersten Ranges (schließlich sogar Rektor der Berliner Universität),  sondern auch ein namhafter Kathedersozialist auf dem äußersten rechten Flügel der Konservativen. In wirtschaftstheo- retischer Hinsicht folgte er Karl Rodbertus, der als Begründer des "Staatssozialismus" gilt. Er konnte anders als andere Ökonomen Marxens Kapital nicht einfach ignorieren, und Marx konnte ihn nicht ignorieren, solange in der deutschen Arbeiterbewgung die Erinnerung an Lassalle noch lebendig war.
JE


Donnerstag, 28. Juni 2018

Tausch- und Gebrauchswert I.

 
...und derselbe Wagner rangiert mich (p. 49, Note) unter die Leute, nach denen der „Gebrauchswert“ ganz „aus der Wissenschaft“ „entfernt“ werden soll. Alles das sind „Faseleien“. De prime abord gehe ich nicht aus von „Begriffen“, also auch nicht vom „Wertbegriff“, und habe diesen daher auch in <369> keiner Weise „einzutei- len“. Wovon ich ausgehe, ist die einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstellt, und dies ist die „Ware“.

Sie analysiere ich, und zwar zunächst in der Form, worin sie erscheint. Hier finde ich nun, daß sie einer- seits in ihrer Naturalform ein Gebrauchsding, alias Gebrauchswert ist; andrerseits Träger von Tauschwert, und unter diesem Gesichtspunkt selbst „Tauschwert“. Weitere Analyse des letzteren zeigt mir, daß der Tauschwert nur eine „Er- scheinungsform“, selbständige Darstellungsweise des in der Ware enthaltnen Werts ist, und dann gehe ich an die Analyse des letzteren.

Es heißt daher ausdrücklich, p. 36, 2. Ausg.: „Wenn es im Eingang dieses Kapitels in der gang und gäben Manier hieß: Die Ware ist Gebrauchswert und Tauschwert, so war dies, genau gesprochen, falsch. Die Ware ist Gebrauchswert oder Gebrauchsgegenstand und ‚Wert‘.  Sie stellt sich dar als dies Doppelte was sie ist, sobald ihr Wert eine eigne, von ihrer Naturalform verschiedne Erscheinungsform besitzt, die des Tausch- werts“ etc. Ich teile also nicht den Wert in Gebrauchswert und Tauschwert als Gegensätze, worin sich das Abstrakte, „der Wert“, spaltet, sondern die konkrete gesellschaftliche Gestalt des Arbeitsprodukts; „Ware“ ist einerseits Gebrauchswert und andrerseits „Wert“, nicht Tauschwert, da die bloße Erscheinungsform nicht ihr eigner Inhalt ist.

Zweitens: Nur ein vir obscurus, der kein Wort des „Kapitals“ verstanden hat, kann schließen: Weil Marx in einer Note zur ersten Ausgabe des „Kapitals“ allen deutschen Professoralkohl über „Gebrauchswert“ im all- gemeinen verwirft und Leser, die etwas über wirkliche Gebrauchswerte wissen wollen, auf „Anleitungen zur Warenkunde“ verweist, - daher spielt der Gebrauchswert bei ihm keine Rolle. Er spielt natürlich nicht die Rolle seines Gegenteils, des „Wertes“, der nichts mit ihm gemein hat, als daß „Wert“ im Namen „Gebrauchswert“ vorkommt. Er hätte ebensogut sagen können, daß der „Tauschwert“ bei mir beiseite gesetzt wird, weil er nur Erscheinungsform des Wertes, aber nicht der „Wert“ ist, da für mich der „Wert“ einer Ware weder ihr Gebrauchswert ist, noch ihr Tauschwert. 


Wenn man die „Ware“- das einfachste ökonomische Konkretum - zu analysieren hat, hat man alle Beziehungen fernzuhalten, die mit dem vorliegenden Objekt der Analyse nichts zu schaffen haben. Was aber von der Ware, soweit sie Gebrauchswert, zu sagen ist, habe ich daher in wenigen Zeilen gesagt, andrerseits aber die charakteri- stische Form hervorgehoben, in der hier der Gebrauchswert - das Arbeitsprodukt - erscheint; nämlich: <370> „Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Ware zu sein. Wer durch sein Produkt sein eignes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muß er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaft- lichen Gebrauchswert“ (p. 15). {Dies die Wurzel des Rodbertusschen „gesellschaftlichen Gebrauchswerts“.}

Damit besitzt der Gebrauchswert - als Gebrauchswert der „Ware“ - selbst einen historisch-spezifischen Cha- rakter. Im primitiven Gemeinwesen, worin z.B. die Lebensmittel gemeinschaftlich produziert und verteilt wer- den unter den Gemeindegenossen, befriedigt das gemeinsame Produkt direkt die Lebensbedürfnisse jedes Ge- meindegenossen, jedes Produzenten, der gesellschaftliche Charakter des Produkts, des Gebrauchswerts, liegt hier in seinem (gemeinsamen) gemeinschaftlichen Charakter. {Herr Rodbertus dahingegen verwandelt den „gesellschaft- lichen Gebrauchswert“ der Ware in den „gesellschaftlichen Gebrauchswert“ schlechthin, faselt daher.}

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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 366ff. 
 

 


Nota. - Das sollte der Klärung dienen; tatsächlich hat es später der Mystifikation gedient. -

'Wert ist Inhalt, Tauschwert ist seine Form': Zu Marxens Zeit war Hegel ein toter Hund, er konnte nicht ahnen, dass ihn später Generationen von Epigonen ihrer Begriffsanknüpfungsmethode neuen Typs dienstbar machen würden; in pragmatischer Absicht: Um glaubhaft zu machen (denkbar ward es nie), dass in ihrem Realexistieren- den 'das Wertgesetz' gälte und eine 'sozialistische Marktwirtschaft' begründe, wurde der Wert zu einem an-sich-Seienden verklärt ("naturalistischer Wertbegriff" hat E. Preobraschenski das genannt). Dem hat Marx mit obiger Formulierung Vorschub geleistet.

Der Wert ist Inhalt des Tauschwerts; nämlich soweit der Tauschwert im gesellschaftliche Verkehr erscheint, aber verdinglicht zu Geld im Preis. Erst die Kritik deckt auf, dass im Tauschwert enthalten ist das 'Quantum der gesellschaftlich notwendigen Arbeit'. Diesen Kern der Politischen Ökonomie hat die Kritik ja gerade nicht verworfen, sondern spezifiziert: Arbeit ist selber 'Maß und Substanz' des Werts - nämlich auch des Werts der Arbeitskraft. Die Arbeit selbst ist wert, hat aber keinen Wert.

Im kritischen Denken wenig geübte Leser mögen es sich so vorstellen, dass 'der Wert' zuerst 'an sich' ist und dann 'als Tauschwert erscheint'. Dabei gibt es logisch gar kein Zuerst/Danach - aber Logik ist das, was bei Be- griffen zählt. In der historischen Entwicklung ist es aber so, dass in dem wachsenden Umfang, wie die Menschen dazu übergehen, ihre Erzeugnisse auszutauschen, sich qua Durchschnitt die Arbeit zum allgemeinen Maß au- sbildet.
JE 

Mittwoch, 27. Juni 2018

Deutschprofessorale Begriffswirtschaft III.

Ai Weiwei

Aber Herr Wagner will uns oder sich selbst weismachen, daß er, statt 2 Namen den selben Gehalt zu geben, vielmehr von der Bestimmung „Gut“ zu einer davon unterschiednen, weiterentwickelten Bestimmung „Wert“ fortgeschritten ist, und dies geschieht einfach dadurch, daß er „Dingen der Außenwelt“ „beziehungsweise“ das Wort „Güter“ unterschiebt, ein Prozeß, der wieder dadurch „verdunkelt“ wird, daß er „den Gütern“ „bezie- hungsweise“ die „Dinge der Außenwelt“ unterschiebt. Seine eigne Konfusion erreicht so den sichern Effekt, seine Leser konfus zu machen. Er hätte diese schöne „Ableitung“ auch umkehren können wie folgt: Indem der Mensch die Dinge der Außenwelt, welche Befriedigungsmittel seiner Bedürfnisse sind, als solche Befriedigungs- mittel von den übrigen Dingen der Außenwelt unterscheidet und daher auszeichnetwürdigt er sie, legt er ihnen Wert bei oder gibt ihnen das Attribut „Wert“; man kann dies auch so ausdrücken, daß er ihnen das Attribut „Gut“ als Charaktermal beilegt oder sie als „Gut“ achtet <367> oder schätzt. 

Dadurch wird den „Werten“, beziehungsweise den Dingen der Außenwelt der Begriff „Gut“ beigelegt. Und so ist aus dem Begriff „Wert“ der Begriff „Gut“ im allgemeinen „abgeleitet“. Es handelt sich bei allen derartigen Ab- leitungen nur darum, von der Aufgabe, deren Lösung man nicht gewachsen ist, abzuleiten.  Aber Herr Wagner geht im selben Atem vom „Wert“ der Güter in aller Geschwindigkeit zum „Messen“ dieses Werts über. Der Inhalt bleibt absolut derselbe, wäre das Wort Wert überhaupt nicht hineingeschmuggelt worden. 

Es könnte gesagt werden: Indem der Mensch gewisse Dinge der Außenwelt, die etc. zu „Gütern“ stempelt, wird er nach und nach diese „Güter“ untereinander vergleichen und, entsprechend der Hierarchie seiner Bedürfnisse, in eine gewisse Rangordnung bringen, d.h. wenn man es so nennen will, sie „messen“.  Von der Entwicklung der wirklichen Maße dieser Güter, i.e. der Entwicklung ihrer Größenmaße, darf Wagner hier beileibe nicht sprechen, da dies den Leser zu lebhaft daran erinnern würde, wie wenig es sich hier um das handelt, was sonst unter „Wertmessen“ verstanden wird. 

{Daß das Auszeichnen von (Hinweisen auf) Dingen der Außenwelt, die Befriedigungsmittel menschlicher Be- dürfnisse sind, als „Güter“ auch benamst werden kann: diesen Dingen „Wert beilegen“, konnte Wagner nicht nur wie Rau aus dem „deutschen Sprachgebrauch“ nachweisen, sondern: Da ist das lateinische Wort dignitas = Wür- de, Würdigkeit, Rang etc., welches Dingen beigelegt auch „Wert“ bedeutet; dignitas ist abgeleitet von dignus und dies von dic, point out show, auszeichnen, zeigen. dignus meint also pointed out; daher auch digitus, der Finger, womit man zeigt ein Ding, darauf hinweist; griechisch: δεικ-νυμι, δακ-τυλο (Finger); got[isch]: ga-tecta (dico); deutsch: zeigen; und wir könnten noch zu viel weiteren „Ableitungen“ kommen, in Betracht, daß δεκνυμι oder δεικνω (sichtbar machen, zum Vorschein bringen, hinweisen) mit δχομαι den Grundstamm δεκ (hinhalten, nehmen) gemein hat.}

So viel Banalität, tautologischer Wirrwarr, Wortklauberei, Erschleichungsmanöver bringt Herr Wagner in nicht ganz 7 Zeilen fertig. Kein Wunder, daß dieser Dunkelmann (vir obscurus) nach diesem Kunststück mit großem Selbstgefühl fortfährt: „Der vielfach streitige und durch manche oft nur scheinbar tiefsinnige Untersuchungen noch verdunkelte Wertbegriff entwickelt sich einfach“ (indeed) {rather „verwickelt“ sich}, „wenn man, wie bisher ge- schehen“ {nämlich von Wagner} „vom Bedürfnis <368> und der wirtschaftlichen Natur des Menschen ausgeht und zum Gutsbegriff gelangt und an diesen den Wertbegriff - anknüpft“ (p. 46).  Man hat hier die Begriffs wirtschaft, deren angebliche Entwicklung beim vir obscurus herausläuft auf das „Anknüpfen“ und gewissermaßen aufs „Aufknüp- fen“. 

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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 366ff. 
 




 

Dienstag, 26. Juni 2018

Deutschprofessorale Begriffswirtschaft II.

flix-brix

Bei Herrn Wagner wird diese „Deduktion“ aber noch schöner, weil er es mit „dem“ Menschen, nicht mit „den“ Menschen zu tun hat. Diese sehr einfache „Deduktion“ drückt Herr Wagner so aus: „Es ist ein natürliches Stre- ben des Menschen“ (lies: des deutschen Ökonomieprofessors), „das Verhältnis“, wonach Dinge der Außenwelt als Befriedigungsmittel menschlicher Bedürfnisse nicht nur sind, sondern als solche sprachlich anerkannt sind und daher auch dienen.
 

Es ist „das natürliche Bestreben“ eines deutschen Ökonomieprofessors, die ökonomische Kategorie „Wert“ aus einem „Begriff“ abzuleiten, und das erreicht er dadurch, daß, was in der politischen Ökonomie vulgo „Ge- brauchswert“ heißt, „nach deutschem Sprachgebrauch“ in „Wert“ schlechthin umgetauft wird. 

Und sobald der „Wert“ schlechthin gefunden ist, dient er hinwiederum wieder dazu, „Gebrauchswert“ aus dem „Wert schlechthin“ abzuleiten.  Man hat dazu nur das „Gebrauchs“fragment, das man fallen ließ, wieder vor den „Wert“ schlechthin zu setzen. Ist in der Tat Rau (siehe p. 88), der uns schlicht sagt, daß es „nötig ist“ (für die deutschen Professoralschulmeister) „festzusetzen, was unter Wert schlechthin gemeint sei“, und der naiv hinzu- setzt: „und es ist dem deutschen Sprachgebrauch gemäß, hierzu - den Gebrauchswert zu wählen.  {In der Chemie heißt chemischer Wert eines Elements die Anzahl, worin eins seiner Atome sich mit Atomen andrer Elemente verbin- den kann. Aber auch das Verbindungsgewicht der Atome hieß Äquivalenz, Gleichwert verschiedner Elemente etc. etc. Also muß man erst den Begriff „Wert schlechthin“ bestimmen etc. etc.} 

Bezieht sich der Mensch auf Dinge als „Befriedigungsmittel seiner Bedürfnisse“, so bezieht er sich auf sie als „Güter“, teste Wagner. Er legt ihnen das Attribut „Gut“ bei; der Inhalt dieser Operation wird in keiner Art dadurch verändert, daß Herr Wagner dies umtauft in „Wert beilegen“. Sein eignes faules Bewußtsein kommt sofort „zum Verständnis“ in dem nächstfolgenden Satz: „Dies geschieht durch die Schätzung (Wertschätzung), wodurch den Gütern, beziehungs- weise den Dingen der Außenwelt Wert beigelegt und derselbe gemessen wird.“

Wir wollen kein Wort darüber verlieren, daß Herr Wagner den Wert ableitet aus der Wertschätzung (er selbst fügt dem Wort Schätzung, um die <365> Sache „zum deutlichen Bewußtsein und Verständnis zu bringen“, in Parenthese „Wertschätzung“ zu). „Der Mensch“ hat das „natürliche Bestreben“, dies zu tun, die Güter als „Wer- te“ zu „schätzen“, und gestattet so Herrn Wagner, die von ihm versprochne Leistung des „Wert begriffs im all- gemeinen“ abzuleiten. Wagner schmuggelt nicht umsonst dem Wort „Gütern“ „beziehungsweise“ die „Dinge der Außenwelt“ unter. Er ging davon aus: Der Mensch „verhält“ sich zu „Dingen der Außenwelt“, die Befriedi- gungsmittel seiner Bedürfnisse sind, als zu „Gütern“.

Er schätzt diese Dinge also eben dadurch, daß er sich zu ihnen als „Gütern“ verhält. Und wir haben für diese „Schätzung“ bereits frühere „Umschreibung“ gehabt, dahin lautend z. B.: „Der Mensch steht mit der ihn um- gebenden Außenwelt als bedürftiges Wesen in fortdauernder Berührung und erkennt, daß in jener viele Bedingungen seines Lebens und Wohlbefindens liegen“ (p. 8). Dies heißt doch weiter nichts, als daß er „die Dinge der Außenwelt schätzt“, sofern sie sein „bedürftiges Wesen“ befriedigen, Befriedigungsmittel seiner Bedürfnisse sind, und darum, wie wir vorher hörten, sich zu ihnen als „Gütern“ verhält. Nun kann man, namentlich, wenn man das „natürliche“ Professoral-„Bestreben“ fühlt, den Begriff des Werts im allgemeinen abzuleiten, dies: „den Dingen der Außenwelt“ das Attribut „Güter“ beilegen, auch benamsen, ihnen „Wert beilegen“.

Man hätte auch sagen können: Indem der Mensch sich zu den seine Bedürfnisse befriedigenden Dingen der Außenwelt als „Gütern“ verhält, „preist“ er sie, legt ihnen also „Preis“ bei, und damit wäre denn die Ableitung des Begriffs des „Preises schlechthin“ durch die Verfahrensart „des“ Menschen dem Professor germanicus ready cut geliefert. Alles, was der Professor selbst nicht tun kann, läßt er „den“ Menschen tun, der aber in der Tat selbst wieder nichts ist, als der Professoralmensch, der die Welt begriffen zu haben meint, wenn er sie unter abstrakten Rubriken rangiert.

Sofern aber den Dingen der Außenwelt „Wert beilegen“ hier nur eine andere Redensart ist für den Ausdruck, ihnen das Attribut „Güter“ beilegen, so ist damit beileibe nicht, wie das Wagner erschleichen will, den „Gütern“ selbst „Wert“ beigelegt als eine von ihrem „Gutsein“ verschiedne Bestimmung. Es ist nur dem Wort „Gut“ das Wort „Wert“ untergeschoben. {Es könnte, wie wir sehen, auch das Wort „Preis“ untergeschoben werden. Es könnte auch das Wort „Schatz“ untergeschoben werden; denn indem „der“ Mensch gewisse „Dinge der Außen- welt“ zu „Gütern“ stempelt, 366 „schätzt“ er sie und verhält sich daher zu ihnen als einem „Schatz“. Man sieht daher, wie die 3 ökonomischen Kategorien Wert, Preis, Schatz von Herrn Wagner auf einen Schlag aus „dem natürlichen Streben des Menschen“, dem Professor seine vernagelte Begriffs(Vorstellungs)welt zu liefern, hervorgezaubert werden konnten.}

Aber Herr Wagner hat den dunklen Trieb, seinem Labyrinth von Tautologie zu entschlüpfen und ein „weiteres etwas“ oder „etwas weiteres“ zu erschleichen. Daher die Phrase; „wodurch den Gütern, beziehungsweise den Dingen der Außenwelt Wert beigelegt etc. wird“.  Da Herr Wagner das Stempeln von „Dingen der Außenwelt“ zu Gütern, d.h. das Auszeichnen und Fixieren derselben (in der Vorstellung) als Befriedigungsmittel menschlicher Bedürfnisse, ditto benamst hat: diesen „Dingen Wert beilegen“, so kann er dies ebensowenig nennen: „den Gütern“ selbst Wert beilegen, als er sagen könnte, dem „Wert“ der Dinge der Außenwelt Wert beilegen.  

Aber der salto mortale wird gemacht in dem Wort „Gütern, beziehungsweise den Dingen der Außenwelt Wert beilegen“.  Wagner hätte sagen müssen: das Stempeln gewisser Dinge der Außenwelt zu „Gütern“ kann auch genannt werden: diesen Dingen „Wert beilegen“, und dies ist die Wagnersche Ableitung des „Wertbegriffs“ schlechthin oder im allgemeinen. Der Inhalt wird nicht verändert durch diese Änderung des sprachlichen Ausdrucks. Es ist stets nur das Auszeichnen oder Fixieren in der Vorstellung der Dinge der Außenwelt, welche Befriedigungsmittel menschlicher Bedürfnisse sind; in der Tat also nur die Erkennung und Anerkennung gewisser Dinge der Außenwelt als Befriedigungsmittel von Bedürfnissen „des“ Menschen (der jedoch als solcher in der Tat am „Begriffsbedürfnis“ leidet).  
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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 364ff. 



Nota. - Einen eigenen theoretischen Wert haben diese Absätze nicht. Sie klingen wie eine Parodie, aber es ist die Selbstparodie des deutschen Professors, der meint, die Dinge der Welt verstehen zu können, indem er mit dem Besteck vordefinierter Begriffe durch sie hindurchfährt. Woher hat er die Begriffe? Mal aus dem "Sprachge- brauch", mal aus der Etymologie, mal aus dem Mixbecher.

Ein Schlaumeier wird sagen: Eben! Er schnitzt seine Begriffe nicht ordentlich, "entwickelt" sie nicht dialektisch, "leitet" sie nicht "ab", usw. Mit der Hegel'schen Methode hatte Marx es in den Grundrissen aber selbst versucht, doch als er den 'Mehr'wert aus dem Begriff vom 'Wert' ableiten wollte, kam er nicht vom Fleck. Er musste in die Realgeschichte zurückgreifen und einen ganz neuen Anlauf nehmen. Hegel war gewiss klüger als Adolph Wagner. Aber grundsätzlich verfolgten sie dieselbe deutschprofessorale Wolff-Baumgarten'sche Methode: aus Begriffen eine Welt zusammensetzen.

Begriffe taugen als Seziermesser der Kritik, nicht aber als Bausteine im Lego-Kasten.
JE



 

Montag, 25. Juni 2018

Deutschprofessorale Begriffswirtschaft I.

Tinguely

Also: die Menschen fingen tatsächlich damit an, gewisse Dinge der Außenwelt als Befriedigungsmittel ihrer eignen Bedürfnisse sich anzueignen etc. etc.; später kommen sie dazu, sie auch sprachlich als das, was sie in praktischer Erfahrung für sie sind, nämlich als Befriedigungsmittel ihrer Bedürfnisse zu bezeichnen, als Dinge, die sie „befriedigen“. 

Nennt man nun diesen Umstand, daß die Menschen solche Dinge nicht nur praktisch als Befriedigungsmittel ihrer Bedürfnisse behandeln, sondern sie auch in der Vorstellung und, weiter, sprachlich als ihre Bedürfnisse, also sie selbst „befriedigende“ Dinge bezeichnen {solange das Bedürfnis des Menschen nicht befriedigt ist, ist er im Unfrieden mit seinen Bedürfnissen, also mit sich selbst}, nennt man dies, „nach dem deutschen Sprachge- brauch“, ihnen einen „Wert beilegen“, so hat man bewiesen, daß der allgemeine Begriff „Wert “entspringt aus dem Verhalten der Menschen zu den in der Außenwelt / vorgefundnen Dingen, welche ihre Bedürfnisse be- friedigen, und mithin, daß dies der Gattungsbegriff von „Wert“ ist und alle andern Wertsorten, wie z.B. der chemische Wert der Elemente, nur eine Abart davon.
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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 363f.

 

Nota. - Die Randglossen zu Wagner haben in der Literatur nicht die Beachtung gefunden, die sie verdienen. Der Grund ist ein einfacher. Das Schreiben über Marx'sche Texte wurde über die Jahrzehnte als epigonale Fleißauf- gabe betrieben, deren substanzielle Dürftigkeit unter mystifizierendem Wörterrauschen versteckt werden muss- te. Doch eben davon handeln diese Randglossen: vom Wortgeklingel des professoralen Dunkelmanns mit Begrif- fen. Marxens bissiger Ton ist wohlverständlich, denn er selbst hatte es sich ja nicht leicht gemacht, sich dem Hegel'schen Begriffssalat zu entwinden. 
JE


Mittwoch, 20. Juni 2018

Wie die Menschen zur Theorie fanden.


Erstens: da im folgenden Satz die „äußeren Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse“ oder „äußeren Güter“ sich verwandeln in „Dinge der Außenwelt“, so erhält dadurch das erste eingeschachtelte Verhältnis folgende Gestalt: der Mensch steht im Verhältnis zu Dingen der Außenwelt als Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. 

Aber die Menschen beginnen keineswegs damit, „in diesem theoretischen Verhältnis zu Dingen der Außenwelt zu stehen“.  Sie fangen, wie jedes Tier, damit an, zu essen, zu trinken etc., also nicht in einem Verhältnis zu „stehen“, sondern sich aktiv zu verhalten, sich gewisser Dinge der Außenwelt zu bemächtigen durch die Tat, und so ihr / Bedürfnis zu befriedigen. (Sie beginnen also mit der Produktion.) Durch die Wiederholung dieses Prozesses prägt sich die Eigenschaft dieser Dinge, ihre „Bedürfnisse zu befriedigen“, ihrem Hirn ein, die Menschen wie Tiere lernen auch „theoretisch“ die äußern Dinge, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen, vor allen andern unterscheiden. 

Auf gewissem Grad der Fortentwicklung, nachdem unterdes auch ihre Bedürfnisse und die Tätigkeiten, wodurch sie befriedigt werden, sich vermehrt und weiterentwickelt haben, werden sie auch bei der ganzen Klasse diese erfahrungsmäßig von der übrigen Außenwelt unterschiednen Dinge sprachlich taufen. Dies tritt notwendig ein, da sie im Produktionsprozeß—i.e. Aneignungsprozeß dieser Dinge—fortdauernd in einem werktätigen Umgang unter sich und mit diesen Dingen stehn und bald auch im Kampf mit andern um diese Dinge zu ringen haben. 

Aber diese sprachliche Bezeichnung drückt durchaus nur aus als Vorstellung, was wiederholte Bestätigung zur Erfahrung gemacht hat, nämlich daß den in einem gewissen gesellschaftlichen Zusammenhang bereits leben- den Menschen (dies der Sprache wegen notwendige Voraussetzung) gewisse äußere Dinge zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen. Die Menschen legen diesen Dingen nur einen besondern (generic) Namen bei, weil sie bereits wissen, daß dieselben zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen, weil sie ihrer durch mehr oder minder oft wiederholte Tätigkeit habhaft zu werden und sie daher auch in ihrem Besitz zu erhalten suchen; sie nennen sie vielleicht „Gut“ oder sonst etwas, was ausdrückt, daß sie praktisch diese Dinge gebrauchen, daß diese Dinge ihnen nützlich, und geben dem Ding diesen Nützlichkeitscharakter als von ihm besessen, obgleich es einem Schaf schwerlich als eine seiner „nützlichen“ Eigenschaften vorkäme, daß es vom Menschen eßbar ist. 
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Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 362f.




Dienstag, 19. Juni 2018

Die wahre Ursache aller ökonomischen Krisen.

K. Kollwitz 

... Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion angelegten Kapitale großentheils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter theils durch die Gesetze des Arbeitslohns, theils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als sie mit Profit für die Kapitalistenklasse angewandt werden können. 

Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armuth und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die ab-solute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde. _____________________________________________
Das Kapital III, MEGA II.15; S. 480 [MEW 25, S. 500f.]


Nota. - Wenn aber die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft wirklich die einzige Grenze der Produk- tion wäre, hätten die Produkte keinen Wert mehr, nämlich keinen Tausch wert. Denn getauscht werden muss nur, was in irgendeiner Hinsicht knapp ist. 

Eine Verknappung eigener Art ist die künstliche Einschränkung der Produktion in Hinblick auf außerökonomi- sche Gesichtspunkte ökologischer, politischer oder sonstwie ideologischer Art. Die beabsichtigte Knappheit würde einen Austausch, nämlich eine irgendwie geartete Verteilung nötig machen. Der so neu entstehende 'Wert' möchte durch sonst irgendwas bestimmt sein - aber ganz sicher nicht durch 'das ihm vergegenständlichte Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeit'.

JE


 

Montag, 18. Juni 2018

Krisen sind notwendig, um das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen.

umdiewelt

Gleichzeitig mit der Entwicklung der Produktivkraft entwickelt sich die höhere Zusammensetzung des Kapi- tals, die relative Abnahme des variablen Theils gegen den konstanten.
 

Diese verschiednen Einflüsse machen sich bald mehr neben einander im Raum, bald mehr nach einander in der Zeit geltend; periodisch macht sich der Konflikt der widerstreitenden Agentien in Krisen Luft. Die Krisen sind immer nur momentane gewaltsame Lösungen der vorhandnen Widersprüche, gewaltsame Eruptionen, die das gestörte Gleich- gewicht für den Augenblick wieder herstellen.
 

Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter / seine Verwerthung im höchsten Maß (d. h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werths) zum Ziel hat. Ihr specifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwerth als Mittel zur größtmöglichen Verwerthung dieses Werths gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwerthung des vorhandnen Kapitals, und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon producirten Produktivkräfte.
 

Die periodische Entwerthung des vorhandnen Kapitals, die ein der kapitalistischen Produktionsweise imma- nentes Mittel ist, den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwerth durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen, stört die gegebnen Verhältnisse, worin sich der Cirkulations- und Reproduk- tionsproceß des Kapitals vollzieht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produk- tionsprocesses.
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Das Kapital III, MEGA II/15,  S. 245f.  [MEW 25, S. 259f.]
   



Nota. - Nicht nur können Krisen nicht verhindert werden, weil das nötige politische Instrumentarium fehlt. Es wäre auch nicht sinnvoll, sie zu verhindern, weil sonst das Gleichgewicht ganz verloren ginge.

Ach, das Gleichgewicht soll anders wiederhergestellt werden als durch die Krise? Das geht nicht, solange Kokur- renz herrscht, und die ist die Triebkraft der kapitalistischen Produktion. So können Krisen zwar palliativ gemil- dert werden, aber nur durch anhaltende Akkumulation neuer Ungleichgewichte - Aufblähen eines (aus kapitali- stischer Sicht) unproduktiven Staatssektors und Explosion der öffentlichen Schulden.
JE, 21. 1. 17


Sonntag, 17. Juni 2018

Geldkrisen sind unvermeidlich.



Es ist Grundlage der kapitalistischen Produktion, daß das Geld, als selbständige Form des Werths, der Waare gegenübertritt, oder daß der Tauschwerth selbständige Form im Geld erhalten muß, und dies ist nur möglich, indem eine bestimmte Waare das Material wird, in deren Werth sich alle andern Waaren messen, daß sie eben dadurch die allgemeine Waare, die Waare par excellence im Gegensatz zu allen andern Waaren wird. 

Dies muß sich in doppelter Hinsicht zeigen, und namentlich bei kapitalistisch entwickelten Nationen, die das Geld in großem Maß erset-zen, einerseits durch Kreditoperationen, andrerseits durch Kreditgeld. In Zeiten der Klemme, wo der Kredit einschrumpft oder ganz aufhört, tritt plötzlich Geld als einziges Zahlungsmittel und wahres Dasein des Werths absolut den Waaren gegenüber. Daher die allgemeine Entwerthung der Waaren, die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, sie in Geld zu verwandeln, d. h. in ihre eigne rein phantastische Form. Zweitens aber: das Kreditgeld selbst ist nur Geld, soweit es im Betrage seines Nominalwerths absolut das wirkliche Geld vertritt. Mit dem Goldabfluß wird seine Konvertibilität in Geld problematisch, d. h. seine Identität mit wirklichem Gold. Daher Zwangsmaßregeln, Heraufsetzung des Zinsfußes etc., um die Bedingungen dieser Konvertibilität zu sichern. 

Dies kann mehr oder minder auf die Spitze getrieben werden durch falsche Gesetzgebung, beruhend auf falschen Theorien vom Geld, und der Nation aufgedrängt durch das Interesse der Geldhändler, der Overstone und Konsorten. Die Grundlage aber ist gegeben mit der Grundlage der Produktionsweise selbst. Eine Entwer- thung des Kreditgeldes (gar nicht zu sprechen von einer übrigens nur imaginären Entgeldung desselben) würde alle bestehenden Verhältnisse erschüttern. 

Der Werth der Waaren wird daher geopfert, um das phantastische und selbständige Dasein dieses Werths im Geld zu sichern. Als Geldwerth ist er überhaupt nur gesichert, so lange das Geld gesichert ist. Für ein paar Millionen Geld müssen daher viele Millionen Waaren zum Opfer gebracht werden. Dies ist unvermeidlich in der kapitalistischen Produktion und bildet eine ihrer Schönheiten. In frühern Produktionsweisen kommt dies nicht vor, weil bei der engen Basis, auf der sie sich bewegen, weder der Kredit noch das Kreditgeld zur Entwicklung kommt. 

Solange der gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein der Waare, und daher als ein Ding außer der wirklichen Produktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung wirklicher Krisen, unvermeidlich. 
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Das Kapital III, MEGA II/15,  S. 511f. [MEW 25, S. 532f.]



Nota. - In der kapitalistischen Welt gibt es den Reichtum doppelt. Einmal real, in Gestalt der zum Gebrauch tauglichen Waren, das andre Mal phantasmagorisch als Geld, das lediglich zum Tauschen zu gebrauchen ist - aber das Tauschen ist unverzichtbar. Diesen Gebrauchswert, Tauschwert zu haben, hat es unter allen Umständen, aber nicht immer im gleichen Maß. Die Ware verliert ihren Gebrauchswert jedoch, sofern ihr Tauschwert nicht realisiert wird. Daher ist seine phantasmagorische Form für den Reichtum der sicherere Hafen.

Nun kann es seinen Wert ebenfalls verlieren, zum Teil mindestens, nämlich gegenüber seinem festen Standard, dem Gold, das selber eine Ware ist. Also nicht das Geld verlöre seinen Wert, sondern die eine Währung gegen das Gold, und mithin gegen allen andern Währungen. So jedenfalls zu der Zeit, als Marx schrieb. Nach dem 2. Weltkrieg trat der Dollar an seine Stelle, weil alle Welt darauf vertraute, dass die amerikanische Zentralbank jederzeit jede Menge jeder Währung in Gold einlösen werde. Was gottlob nie wirklich auf die Probe gestellt wurde, aber es reichte aus, dass alle dieses Vertrauen teilten: Das war so gut, als ob.

Das ist nun seit Präsident Nixon auch nicht mehr so. Solange aber der Dollar wirklich die Leitwährung war, auf die sich alle andern bezogen, änderte sich nichts. Doch nach und nach drangen andere Leitwährungen rivalisierend nach vorn. Inzwischen ist es das Kräfteverhältnis zwischen ihnen, das leisten muss, was einst das Gold leistete; was es nur kann, wenn alle auf seine Stabilität vertrauen, aber das tun nicht alle, mal mit, mal ohne Grund. Doch das schwindende Vertrauen ist der Verlust der Stabilität. 

Darum sind Geldkrisen, beginnend als Währungskrisen, nicht nur, wie Marx sagte, unvermeidlich, sondern geradezu die Regel (weshalb nun das Gold auch wieder im Hintergrund eine Rolle spielt). Sie sind sogar wichtiger für das Wirtschaftsgeschehen, als es früher die Handels- bzw. Überproduktionskrisen waren. Tatsächlich werden mit Währungsspekulationen heute größere Gewinne und Verluste gemacht, als mit Warengeschäften. Der phantasmagorische Reichtum ist wirklicher als der wirkliche.
JE, 5. 1. 17




Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE.

Samstag, 16. Juni 2018

Die Naturbasis der Mehrarbeit.



Die naturwüchsige Basis der Mehrarbeit überhaupt, d. h. eine Naturbedingung, ohne welche sie nicht möglich ist, ist die, daß die Natur, – sei es in Produkten des Landes, pflanzlichen oder thierischen, sei es in Fischereien etc. – die nöthigen Unterhaltsmittel gewährt bei Anwendung einer Arbeitszeit, die nicht den ganzen Arbeitstag verschlingt. Diese naturwüchsige Produktivität der agrikolen Arbeit (worin hier einfach sammelnde, jagende, fischende, Vieh züchtende eingeschlossen) ist die Basis aller Mehrarbeit; wie alle Arbeit zunächst und ursprüng-lich auf Aneignung und Produktion der Nahrung gerichtet ist. (Das Thier gibt ja zugleich Fell zum Wärmen in kälterm Klima; außerdem Höhlenwohnungen etc.) ...

Diese Bedingungen sind: Die unmittelbaren Producenten müssen über die Zeit hinaus arbeiten, die zur Repro-duktion ihrer eignen Arbeitskraft, ihrer selbst erheischt ist. Sie müssen Mehrarbeit überhaupt verrichten. Dies ist die subjektive Bedingung. Aber die objektive ist, daß sie auch Mehrarbeit verrichten können; daß die Natur-bedingungen derart sind, daß ein Theil ihrer disponiblen Arbeitszeit zu ihrer Reproduktion und Selbsterhaltung als Producenten hinreicht, daß die Produktion ihrer nothwendigen Lebensmittel nicht ihre ganze Arbeitskraft konsumirt. Die Fruchtbarkeit der Natur bildet hier eine Grenze, einen Ausgangspunkt, eine Basis. 
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Das Kapital III, MEGA II.15; S. 620, 622 [MEW 25, S. 645, 647f.]


Nota.  Dies klingt wie eine Binsenweisheit, aber gerade darum muss man sie gelegentlich aussprechen: Nur wenn die Arbeit mehr erbringt als was unmittelbar zum Leben notwendig ist, kann eine Akkumulation und eine Entwicklung stattfinden. Ob dies aber der Fall ist, hängt zunächst von der Natur ab und nicht von der Arbeit. Es liegt vor jeglicher Formbestimmung.
JE, 4. 1. 16

Freitag, 15. Juni 2018

Friedrich Engels war nicht schuld.

 

Den Hintergrund für den stalinistischen "naturalistischen" Wertbegriff* bildet der Mythos von der "Politischen Ökonomie" als einer ubiquitären, 'nomothetischen' Universalwissenschaft mit einem bestimmten, identischen, 'an sich selber' zeitlosen (d. h. nur in der 'Erscheinung' sich entwickelnden) Gegenstand. Und als Beleg dafür kommt in ihren Lehrbüchern sicher wie das Amen in der Kirche stets dieselbe eine und einzige "Stelle" bei... Engels im Anti-Dühring:  "Die politische Ökonomie, im weitesten Sinne, ist die Wissenschaft von den Gesetzen, welche die Produktion und den Austausch des materiellen Lebensunterhalts in der menschlichen Gesellschaft beherrschen." Herrn Eugen Dührings Umwälzung..., MEW 20, S. 136.

Das wird mit viel Krakeel von den Autoren der Lehrbücher als regelrechter wissenschaftlicher Begriff ausposaunt: "In seiner Definition der politischen Ökonomie als Wissenschaft im weiteren Sinn..." Lehrbuch der Politischen Öko- nomie I, Moskaus 1970, S. 38: "Die politische Ükonomie, mit der wir uns heute befassen, ist, um mit Friedrich Engels' Worten zu reden, die politische Ökonomie im weiteren Sinne des Wortes..." (S. 39)

Bei Engels folgt allerdings stehenden Fußes: "Die Bedingungen, unter denen die Menschen produzieren und austauschen, wechseln von Land zu Land, und in jedem Land von Generation zu Generation. Die politische Ökonomie kann also nicht dieselbe sein für alle Länder und für alle geschichtlichen Epochen." a.a.O., S. 136

Das Lehrbuch beeilt sich zu krähen: "Friedrich Engels bezeichnete diese Wissenschaft als politische Ökonomie im engeren Sinne..." a.a.O., S. 38

Engels weiter: "Die politische Ökonomie ist also wesentlich eine historische Wissenschaft. Sie behandelt einen geschichtlichen, d. h. ein stets wechselnden Stoff. Sie untersucht zunächst die einzelnen Gesetze jeder einzelnen Entwicklungsstufe der Produktion und des Austausches und wird erst am Schluss dieser Untersuchung die wenigen für Produktion und Austausch überhaupt geltenden, ganz allgemeinen Gesetze aufstellen." a.a.O., S. 137 

Aber prompt setzt das Lehrbuch nach unde verbessert noch seinen Kronzeugen Engels: "Die politische Öko- nomie im weiteren Sinne des Wortes ist nicht die Summe der politischen Ökonomien im engeren Sinne. Sie ist eine einheitliche Wissenschaft mit einem einheitliche Gegenstand und einheitlicher Methode." a.a.O. S. 39. (Na- türlich erfahren wir nicht, welcher "Gegenstand" und welche "Methode"; etwa die "wenigen... überhaupt gelten- den, ganz allgemeinen Gesetze"?!)

Engels: "Die Feuerländer bringen es nicht zu Massenproduktion und zum Welthandel, ebensowenig wie zur Wechselreiterei oder einem Börsenkrach. Wer die politische Ökonomie Feuerlands unter dieselben Gesetze bringen wollte mit der des heutigen Englands, würde damit augenscheinlich nichts zutage fördern als den allerbanalsten Gemeinplatz." a.a.O., S. 136f.

Also die "einheitliche Methode" am "einheitlichen Gegenstand" ist... "der allerbanalste Gemeinsplatz"?! -  I wo: "Das musst du dialektisch sehn!"

Aber was Engels mit seiner unglücklichen Gelegenheitsformulierung von der "politischen Ökonomie im weite- sten Sinne" sagen wollte, macht er ein paar Sätze weiter unten ganz deutlich: "Die politische Ökonomie als die Wissenschaft von den Bedingungen und Formen, unter denen die verschiednen menschlichen Gesellschaften produziert und ausgetauscht [!], und unter denen sich demgemäß jedesmal die Produkte ausgetauscht [!] haben - die politische Ökonomie in dieser Ausdehnung soll jedoch erst geschaffen werden. Was wir von ökonomi- scher Wissenschaft bis jetzt besitzen, beschränkt sich fast ausschließlich auf die Genesis und Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise: sie beginnt mit der Kritik der Reste der feudalen Produktions- und Aus- tauschformen..., entwickelt dann die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer entsprechenden Austauschformen nach der positiven Seite hin, d. h. nach der Seite, wonach sie die allgemeinen Gesellschafts- zwecke fördern [A. Smith], und schließt ab mit der sozialistischen Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, d. h. mit der Darstellung ihrer Gesetze nach der negativen Seite hin [Sismondi vs. Ricardo], mit dem Nachweis, dass diese Produktionsweise durch ihre eigne Entwicklung dem Punkt zutreibt, wo sie sich selbst unmöglich macht. Diese Kritik [K. Marx] weist nach..." a.a.O., S. 138f.

"Um diese Kritik der bürgerlichen Ökonomie vollständig durchzuführen, genügte nicht die Bekanntschaft mit der kapitalistischen Produktion, dem Austausch und der Verteilung. Die ihr vorangegangenen oder noch neben ihr, in weniger entwickelten Ländern bestehenden Formen mussten ebenfalls, wenigstens in den Hauptzügen, untersucht und zur Vergleichung gezogen werden. Eine solche Untersuchung und Vergleichung ist bis jetzt im ganzen und großen nur von Marx angestellt worden." a.a.O., S. 139

Was man also schonmal festhalten kann: Engels jedenfalls war der Meinung, daß Marx eine solche "politische Ökonomie im weitesten Sinne" nicht "geschaffen" habe; sondern vielmehr die Kritik der bürgerlichen Ökonomie als deren Abschluss - und insoweit hat er 'Das Kapital' völlig richtig verstanden; denn er fügt ja ausdrücklich hinzu, dass K. M. da, wo er auf vorkapitalistische Formen eingeht, diese nicht als solche (oder "immanent") darstelle, son- dern lediglich zwecks Vergleichung mit der bürgerlichen 'Form': nämlich um jene "deutlich" darstzustellen.

Was hingegen Engels als "politische Ökonomie im weitesten Sinne" vorschwebt, ist offenbar eine 'allgemeine Wirtschaftsgeschichte vom meterialistischen Standpunkt aus' - von der Marx in den Grundrissen beiläufig be- merkt, dass 'wir' sie 'auch nocht' bewerkstelligen werden, dass sie aber an sich für seinen Zweck überflüssig sei (MEW 42, wo?). - Man fragt sich freilich, welches Erkenntnisinteresse eine solche Arbeit haben würde; eine bloße historische Faktensammlung, eine Art verbesserter Gülich? Abgesehen davon, dass man nicht erkennt, wozu eine solche Fleißarbeit gut sein soll, ist es nicht gerechtfertigt, eine bloße historische Faktensammlung eine "Wissenschaft" zu nennen: eben darum, weil sie nicht imstande ist, ihren Gegenstand zu identifizieren. Eine Wissenschaft ist stets entweder pragmatisch - und läuft dann doch wieder 'nur' auf kommunistische Kritik der historischen Resultate hinaus; oder sie ist "theoretisch" - und kommt dann über die von Engels treffend so genannten "allerbanalsten Gemeinplätze" nicht hinaus - die zudem gar nicht 'faktischer', sondern methodo- logischer Natur sind, wie die völlig zu Recht "unterdrückte" Einleitung von 1857 beweist...

In jedem Fall war es aber eine terminologische Schluderei, die sich gerade noch aus dem Eifer der Polemik entschuldigen lässt, eine solche historische Wissenschaft vom 'Wirtschaften' als "politische" Ökonomie zu bezeichnen. Das hätte dem altphilologisch nicht ganz ungebildeten Freddy ins Auge springen müssen, dass jedem Athener Bürgr jene terminologische Verbindung von πολις und οιϰος als Gipfel der Paradoxie hätte erscheinen müssen! Sowas ähnliches wie "das Öffentlich-Private"! Es ist ihm in der Hitze des Gefechts auch gar nich aufgefallen, dass er ausdrücklich auf allen historischen Stufen "Austausch" als Bedingung der Verteilung voraussetzt!

Denn das bedeutet ja, dass er überall und allezeit sowohl gesellschaftliche Produktion als auch Privateigentum unterstellt! Nun hat er es aber in der wirklich stattgehabten Geschichte entweder mit dem einen oder mit dem andern zu tun - und die singuläre Eigenart der kapitalistischen Gesellschaft ist doch gerade, dass allein hier beides zusammen- kommt, indem auf dem Boden des privaten Eigentums die Produktion - technisch und ökonomisch - einen gesellschaftlichen Charakter angenommen hat.

Denn wo gemeinschaftlich organisierte Prodution stattfindet, werden die Produkte eben nicht getauscht - im "self-sustaining" indischen Dorf. Es ist auch nicht wahr, dass hier unmittelbar "die Arbeiten getauscht" würden: das ist eine idealistische Augenwischerei; hier werden "die Arbeiten" verteilt, und ebenso werden die Produkte verteilt.

Wo indessen nicht gemeinschaftlich, sondern privat-isoliert produziert und hernach ausgetauscht wird - näm- lich der Überschuss, das, was man entbehren kann, und eben nicht das "Nötige" -, da ist es Unfug, von politischer Ökonomie zu reden. Politisch, nämlich "das Gemeinwesen betreffend", ist die οιϰονομια, wo der Reichtum der einzelnen eo ipso Reichtum des Gemeinwesens darstellt, der Reichtum der Privaten zugleich allgemeiner Reich- tum ist; und das kann nur sein, wo es zu Reichtum im Allgemeinen, "Reichtum überhaupt", "Reichtum schlechthin" gekommen ist. Und das ist eben das Geld. Das Geld ist "das reale Gemeinwesen" - in der bürgerlichen Gesell- schaft.

Wo es in den vorbürgerlichen Gesellschaften auftritt, da als "reales (bürgerliches) Gemeinwesen in processu" - was empirisch immer zugleich die Zerstörung des vorhandenen Gemeinwesens bedeutet, sofern es eben noch nicht auf dem Austausch beruht.

Also Gegenstand einer solchen historischen "Politischen Ökonomie" kann nur die wirkliche Geschichte sein, wie sich das Geld in den gewesenen Gesellschaftsformationen an Stelle der traditionellen - gentilizischen, feudalen, "asiatischen" - politischen Gemeinschaften zum "realen Gemeinwesen" der... bürgerlichen Gesellschaft konstituiert hat. Also Gegenstand einer historischen Politischen Ökonomie könnte nur sein: die Bildung des Kapitalverhältnisses auf dem Boden der traditionellen Gesellschaften, aus den vorkapitalistischen Verhältnissen heraus. 

Aber genau das gehörte zur Arbeit der Kritik der Politischen Ökonomie, und ganau diese Arbeit hat Marx auch besorgt; cf. "Formen"-Kapitel. Nur so nämlich konnte er ja auf die Bruch-Stelle in der Entwicklungsgeschichte "des Kapitals" stoßen: den Punkt, wo eben nicht "das Geld" als automatisches Subjekt 'zu Kapital wird'; son- dern durch den (Gewalt)-Akt  der Trennung des Arbeitsvermögens von den Arbeitsmitteln zu Kapital gemacht worden ist - die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation".

*

Und nach allem kann es uns nun auch nicht mehr wundern, dass in besagtem Lehrbuch der politischen Ökonomie die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation" gar nicht vorkommt...

*) Den Begriff hat Preobraschenki gegen Bucharin geprägt.

13. 12. 89


Donnerstag, 14. Juni 2018

Progressivität der Feudalunordnung.

aus Les Très Riches Heures du duc de Berry

Die dritte Form ist das feudale oder ständische Eigentum. Wenn das Altertum von der Stadt und ihrem kleinen Gebiet ausging, so ging das Mittelalter vom Lande aus. Die vorgefundene dünne, über eine große Bodenfläche zersplitterte Bevölkerung, die durch die Eroberer keinen großen Zuwachs erhielt, bedingte diesen veränderten Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu Griechenland und Rom beginnt die feudale Entwicklung daher auf einem viel ausgedehnteren, durch die römischen Eroberungen und die anfangs damit verknüpfte Ausbreitung der Agrikultur vorbereiteten Terrain. 

Die letzten Jahrhunderte des verfallenden römischen Reichs und die Eroberung durch die Barbaren selbst zerstörten eine Masse von Produktivkräften; der Ackerbau war gesunken, die Industrie aus Mangel an Absatz verfallen, der Handel eingeschlafen oder gewaltsam unterbrochen, die ländliche und städtische Bevölkerung hatte abgenommen. Diese vorgefundenen Verhältnisse und die dadurch bedingte Weise der Organisation der Eroberung entwickelten unter dem Einflusse der germanischen Heerverfassung das feudale Eigentum. 

Es beruht, wie das Stamm- und Gemeindeeigentum, wieder auf einem Gemeinwesen, dem aber nicht wie dem antiken die Sklaven, sondern die leibeignen kleinen Bauern als unmittelbar produzierende Klasse gegenüberste-hen. Zugleich mit der vollständigen Ausbildung des Feudalismus tritt noch der Gegensatz gegen die Städte hinzu. Die hierarchische Gliederung des Grundbesitzes und die damit zusammenhängenden bewaffneten Gefolgschaften gaben dem Adel die Macht über die Leibeignen. 

Diese feudale Gliederung war ebensogut wie das antike Gemeindeeigentum eine Assoziation gegenüber der beherrschten produzierenden Klasse; nur war die Form der Assoziation und das Verhältnis zu den unmittelba-ren Produzenten verschieden, weil verschiedene Produktionsbedingungen vorlagen. Dieser feudalen Gliede-rung des Grundbesitzes entsprach in den Städten das korporative Eigentum, die feudale Organisation des Handwerks. Das Eigentum bestand hier hauptsächlich in der Arbeit jedes Einzelnen. 

Die Notwendigkeit der Assoziation gegen den assoziierten Raubadel, das Bedürfnis / gemeinsamer Markt- hallen in einer Zeit, wo der Industrielle zugleich Kaufmann war, die wachsende Konkurrenz der den aufblü- henden Städten zuströmenden entlaufnen Leibeignen, die feudale Gliederung des ganzen Landes führten die Zünfte herbei; die allmählich ersparten kleinen Kapitalien einzelner Handwerker und ihre stabile Zahl bei der wach-senden Bevölkerung entwickelten das Gesellen- und Lehrlingsverhältnis, das in den Städten eine ähnliche Hierarchie zustande brachte wie die auf dem Lande. Das Haupteigentum bestand während der Feudalepoche also in Grundeigentum mit daran geketteter Leibeignenarbeit einerseits und eigner Arbeit mit kleinem, die Arbeit von Gesellen beherrschendem Kapital andrerseits. 

Die Gliederung von Beiden war durch die bornierten Produktionsverhältnisse – die geringe und rohe Boden-kultur und die handwerksmäßige Industrie – bedingt. Teilung der Arbeit fand in der Blüte des Feudalismus wenig statt. Jedes Land hatte den Gegensatz von Stadt und Land in sich; die Ständegliederung war allerdings sehr scharf ausgeprägt, aber außer der Scheidung von Fürsten, Adel, Geistlichkeit und Bauern auf dem Lande und Meistern, Gesellen, Lehrlingen und bald auch Taglöhnerpöbel in den Städten fand keine bedeutende Teilung statt. Im Ackerbau war sie durch die parzellierte Bebauung erschwert, neben der die Hausindustrie der Bauern selbst aufkam, in der Industrie war die Arbeit in den einzelnen Handwerken selbst gar nicht, unter ihnen sehr wenig geteilt. 

Die Teilung von Industrie und Handel wurde in älteren Städten vorgefunden, entwickelte sich in den neueren erst später, als die Städte unter sich in Beziehung traten. Die Zusammenfassung größerer Länder zu feudalen Königreichen war für den Grundadel wie für die Städte ein Bedürfnis. Die Organisation der herrschenden Klasse, des Adels, hatte daher überall einen Monarchen an der Spitze.
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Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 34f.



Nota. - Das ist anderthalb Jahrhunderte alt und doch noch nicht überholt: in der Geschichtsschreibung eine uneingeholte Leistung. Denn was fehlt, die Einsicht in der progressiven Charakter der feudalen Produktions-weise, lässt sich überhaupt nur im Lichte ebendieser Darstellung erkennen. Anders als die Sklavenarbeit auf den römischen Latifundien hat die bedingte Form des feudalen Eigentums den Grundherrn ebenso wie den Acker- bauern gemeinsam an der wirtschaftlichen Leistung interessiert. Ohne dies wäre die durchgängige Kultivierung des Bodens nördlich und östlich der Alpen in verhältnismäßig kurzer Zeit nicht möglich gewesen. 

Und, so muss man hinzufügen, ohne die kongenitale Rivalität der weltlichen und der geistlichen Mächte hätten die Städte, und das heißt: das Bürgertum nicht den Spielraum gefunden, sich als Dritte Macht zwischen sie und schließlich an ihre Stelle zu schieben.

Zwar ist es eine unausgesprochene Prämisse der Marx-Engels'schen Darstellung, doch verdient es, ausdrücklich gesagt zu werden: Unter anderen Voraussetzungen als der Feudalität wäre die Ausbildung der bürgerlichen Gesell- schaft nicht möglich gewesen. Wäre? Ist!  Die einzige Stelle in der Welt, wo eine vergleichbare bürgerliche Ent- wicklung zustande gekommen ist, ist Japan mit seiner nicht 'asiatischen', sondern viel eher feudalen Produkti- onsweise.
JE 21. 4. 18

Mittwoch, 13. Juni 2018

Der Grund des Wissens und die Kritik.

nf-community   

Wissen ist schlechterdings positiv. [Eine reale Wissenschaft ist ein 'organisches' System einzelner 'Gewusster', sie wechselseitig auf einander verweisen...] Das Wissen selbst ist theoretisch-dogmatisch.

Was Wissen vom Wissen ist Kritik: Meta-Theorie, Theorie von der Theorie; Darstellung der Form des Wissens unter Ausklammerung ("Einklammerung", epochê) des Was des Gewussten: "bloße" Form; theoretisch-kritisch.

('Kritisch': urteilend über den Geltungsgrund des theoretischen Wissens, das derart nicht mehr dogmatisch, nicht mehr positum ist, sondern beurteilt; problematisch, nämlich als bedingt gesetzt.)

Als Meta-Kritik wird das Wissen praktisch: nicht mehr über den 'Grund' urteilend, sondern behauptend, selber den Grund setzend: positiv.

Die Metakritik ist der nachträglich gesetzte Grund, das apsteriorische Apriori des positiven Wissens; sie ist die Refle- xion, ="ideale Tätigkeit", auf das Wissen selbst (="reale" Tätigkeit).

Kritik ist Axiologie, insofern sie die Gründe der wissenschaftlichen Geltung zur Darstellung bringt. In- sofern ist 'Kritik' eine theoretische Wertlehre; theoretisch, sofern sie die Geltung der Werte zunächst als ein Gegebenes, als Fakt behandelt: dass der Wert gilt, gehört zum 'Sein'; in diesem Fall zum histori- schen Sein dieser Wissenschaft. [=der Politischen Ökonomie]

Die praktische Wertlehre, die Werte setzt - oder auch verwirft - ist axiomatisch.

10. 1. 88 


Auf den ersten Blick erscheint das wie rein abstraktes Wortgeklingel. Aber das wäre es nur, wenn es am Schluss oder am Anfang stünde. Aber genau in der Mitte lässt es sich nicht umgehen. Nach der Sichtung des Materials kommt die Sichtung der Instrumente. Nach der Anschauung die Begriffe, ohne die die Anschauung blind blie- be. 

Hat Obiges eine sachliche Aussage? Hat es: Ohne Absicht gibt es gar keine Anschauung. In der Anschauung des Materials gewinnt die Absicht Bestimmtheit und wird zum Begriff; zum Begriff von einem Zweck zuerst, und an dem scheinen die Bestimmungen der Dinge auf. Der Inbegriff der Zwecke, der erste, letzte Zweck, ist der Wert, axios. Kritisch ist die Wissenschaft, weil sie prüft, ob der zum Abschluss avisierte Zweck (noch) der- selbe ist wie der am Anfang postulierte. Insofern nehme ich den Ausdruck Axiologie nicht zurück.