aus Les Très Riches Heures du duc de Berry
Die dritte Form ist das
feudale oder ständische Eigentum. Wenn das Altertum von der Stadt und
ihrem kleinen Gebiet ausging, so ging das Mittelalter vom Lande aus. Die
vorgefundene dünne, über eine große Bodenfläche zersplitterte
Bevölkerung, die durch die Eroberer keinen großen Zuwachs erhielt,
bedingte diesen veränderten Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu Griechenland
und Rom beginnt die feudale Entwicklung daher auf einem viel
ausgedehnteren, durch die römischen Eroberungen und die anfangs damit
verknüpfte Ausbreitung der Agrikultur vorbereiteten Terrain.
Die letzten
Jahrhunderte des verfallenden römischen Reichs und die Eroberung durch
die Barbaren selbst zerstörten eine Masse von Produktivkräften; der
Ackerbau war gesunken, die Industrie aus Mangel an Absatz verfallen, der
Handel eingeschlafen oder gewaltsam unterbrochen, die ländliche und
städtische Bevölkerung hatte abgenommen. Diese vorgefundenen
Verhältnisse und die dadurch bedingte Weise der Organisation der
Eroberung entwickelten unter dem Einflusse der germanischen
Heerverfassung das feudale Eigentum.
Es beruht, wie das
Stamm- und Gemeindeeigentum, wieder auf einem Gemeinwesen, dem aber
nicht wie dem antiken die Sklaven, sondern die leibeignen kleinen Bauern
als unmittelbar produzierende Klasse gegenüberste-hen. Zugleich mit der
vollständigen Ausbildung des Feudalismus tritt noch der Gegensatz gegen
die Städte hinzu. Die hierarchische Gliederung des Grundbesitzes und
die damit zusammenhängenden bewaffneten Gefolgschaften gaben dem Adel
die Macht über die Leibeignen.
Diese feudale
Gliederung war ebensogut wie das antike Gemeindeeigentum eine
Assoziation gegenüber der beherrschten produzierenden Klasse; nur war
die Form der Assoziation und das Verhältnis zu den unmittelba-ren
Produzenten verschieden, weil verschiedene Produktionsbedingungen
vorlagen.
Dieser feudalen Gliede-rung des Grundbesitzes entsprach in den Städten
das korporative Eigentum, die feudale Organisation des Handwerks. Das
Eigentum bestand hier hauptsächlich in der Arbeit jedes Einzelnen.
Die Notwendigkeit der Assoziation gegen den assoziierten Raubadel, das Bedürfnis /
gemeinsamer Markt- hallen in einer Zeit, wo der Industrielle zugleich
Kaufmann war, die wachsende Konkurrenz der den aufblü- henden Städten
zuströmenden entlaufnen Leibeignen, die feudale Gliederung des ganzen
Landes führten die Zünfte herbei; die allmählich ersparten kleinen
Kapitalien einzelner Handwerker und ihre stabile Zahl bei der
wach-senden Bevölkerung entwickelten das Gesellen- und
Lehrlingsverhältnis, das in den Städten eine ähnliche Hierarchie
zustande brachte wie die auf dem Lande.
Das Haupteigentum bestand während der Feudalepoche also in Grundeigentum
mit daran geketteter Leibeignenarbeit einerseits und eigner Arbeit mit
kleinem, die Arbeit von Gesellen beherrschendem Kapital andrerseits.
Die Gliederung von
Beiden war durch die bornierten Produktionsverhältnisse – die geringe
und rohe Boden-kultur und die handwerksmäßige Industrie – bedingt.
Teilung der Arbeit fand in der Blüte des Feudalismus wenig statt. Jedes
Land hatte den Gegensatz von Stadt und Land in sich; die
Ständegliederung war allerdings sehr scharf ausgeprägt, aber außer der
Scheidung von Fürsten, Adel, Geistlichkeit und Bauern auf dem Lande und
Meistern, Gesellen, Lehrlingen und bald auch Taglöhnerpöbel in den
Städten fand keine bedeutende Teilung statt. Im Ackerbau war sie durch
die parzellierte Bebauung erschwert, neben der die Hausindustrie der
Bauern selbst aufkam, in der Industrie war die Arbeit in den einzelnen
Handwerken selbst gar nicht, unter ihnen sehr wenig geteilt.
Die Teilung von
Industrie und Handel wurde in älteren Städten vorgefunden, entwickelte
sich in den neueren erst später, als die Städte unter sich in Beziehung
traten.
Die Zusammenfassung größerer Länder zu feudalen Königreichen war für den
Grundadel wie für die Städte ein Bedürfnis. Die Organisation der
herrschenden Klasse, des Adels, hatte daher überall einen Monarchen an
der Spitze.
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Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 34f.
Nota. -
Das ist anderthalb Jahrhunderte alt und doch noch nicht überholt: in
der Geschichtsschreibung eine uneingeholte Leistung. Denn was fehlt, die
Einsicht in der progressiven Charakter der feudalen Produktions-weise,
lässt sich überhaupt nur im Lichte ebendieser Darstellung erkennen.
Anders als die Sklavenarbeit auf den römischen Latifundien hat die
bedingte Form des feudalen Eigentums den Grundherrn ebenso wie den
Acker- bauern gemeinsam an der wirtschaftlichen Leistung
interessiert. Ohne dies wäre die durchgängige Kultivierung des Bodens
nördlich und östlich der Alpen in verhältnismäßig kurzer Zeit nicht
möglich gewesen.
Und, so muss man hinzufügen, ohne die kongenitale Rivalität der weltlichen und der geistlichen Mächte hätten die Städte, und das heißt: das Bürgertum nicht den Spielraum gefunden, sich als Dritte Macht zwischen sie und schließlich an ihre Stelle zu schieben.
Zwar ist es eine unausgesprochene Prämisse der Marx-Engels'schen Darstellung, doch verdient es, ausdrücklich gesagt zu werden: Unter anderen Voraussetzungen als der Feudalität wäre die Ausbildung der bürgerlichen Gesell- schaft nicht möglich gewesen. Wäre? Ist! Die
einzige Stelle in der Welt, wo eine vergleichbare bürgerliche
Ent- wicklung zustande gekommen ist, ist Japan mit seiner nicht
'asiatischen', sondern viel eher feudalen Produkti- onsweise.
JE 21. 4. 18
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