Freitag, 29. Juni 2018
Tausch- und Gebrauchswert II.
Es wäre also, wie aus dem obigen hervorgeht, reine Faselei, bei Analyse der Ware - weil sie sich einerseits als Gebrauchswert oder Gut, andrerseits als „Wert“ darstellt - nun bei dieser Gelegenheit allerlei banale Reflexio- nen über Gebrauchswerte oder Güter „anzuknüpfen“, die nicht in den Bereich der Warenwelt fallen, wie „Staatsgüter“, „Gemeindegüter“ etc., wie es Wagner und der deutsche Professor in general tut, oder über das Gut „Gesundheit“ etc.
Wo der Staat selbst kapitalistischer Produzent, wie bei Exploitation von Minen, Waldungen etc., ist sein Pro- dukt „Ware“ und besitzt daher den spezifischen Charakter jeder andren Ware. Andrerseits hat der vir obscurus übersehn, daß schon in der Analyse der Ware bei mir nicht stehngeblieben wird bei der Doppelweise, worin sie sich darstellt, sondern gleich weiter dazu fortgegangen wird, daß in diesem Doppelsein der Ware sich darstellt zwiefacher Charakter der Arbeit, deren Produkt sie ist: der nützlichen Arbeit, i.e. den konkreten Modi der Arbei- ten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als Verausgabung der Arbeitskraft, gleich- gültig in welcher „nützlichen“ Weise sie verausgabt werde (worauf später die Darstellung des Produktionspro- zesses beruht);
daß in der Entwicklung der Wertform der Ware, in letzter Instanz ihrer Geldform, also des Geldes, der Wert einer Ware sich darstellt im Gebrauchswert der andern, d.h. in der Naturalform der andern Ware; daß der Mehrwert selbst abgeleitet wird aus einem „spezifischen“ und ihr exklusive zukommenden Gebrauchswert der Arbeitskraft etc. etc.; <371> daß also bei mir der Gebrauchswert eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Ökonomie, daß er aber notabene immer nur in Betracht kommt, wo solche Betrachtung aus der Analyse ge- gebner ökonomischer Gestaltungen entspringt, nicht aus Hin- und Herräsonieren über die Begriffe oder Worte „Gebrauchswert“ und „Wert“.
__________________________________________________________________
Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie”, MEW 19, S. 370f.
Nota. - "Daß also bei mir der Gebrauchswert eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Öko- nomie" - dies ist, theoretisch besehen, der wesentliche Unterschied zwischen der Politischen Ökonomie und der Marx'schen Kritik. Die Politische Ökonomie hat in der Tat von Qualitäten gänzlich abgesehen und sich auf die 'Formseite' beschränkt (was die Wagner'sche Begriffswirtschaft überhaupt erst möglich macht). Dem entspricht vollkommen ihr Desinteresse am historisch-Konkreten. Ihre Welt ist die Abstraktion, in der die urteilend täti- gen Menschen untergehen.
Das Kapital verstehen heißt die Herkunft des Mehrwerts erkennen. Und das ist die: Wie alle Waren, hat auch die Arbeitkraft zwei Seiten - einen Gebrauchs- und einen Tauschwert. Doch ihr Gebrauchswert ist die leben- dige produktive Arbeit selbst, und die gehört dem Kapitalisten, der sie gekauft hat. Dem Arbeiter bleibt ledig- lich der Tauschwert, und der besteht aus den Reproduktionskosten der Arbeitskraft. Die Differenz zwischen diesen beiden, dem Produkt der Arbeit und den Reproduktionskosten der Arbeitskraft, ist der Mehr wert. Die bloße Formanalyse kann das nie erkennen. Es wurde ein Rückgriff in die Realgeschichte notwendig.
Das Qualitative lässt sich, wie das Historische, nur anschauen. Die Konstruktion aus Begriffen jedoch kann nur Verhältnisse beschreiben - aber nicht, was sich verhält. Wer diese statt der andern Methode wählt, gibt zu er- kennen, worauf er hinauswill.
Das ist nicht nur 'am Grunde' der Kritik der Politischen Ökonomie so. Es bewährt sich auch an ihrem Schlussstein, dem 'tendenziellen Fall der Profitrate':
Mit dem wachsenden Anteil des fixen Kapitals (=Maschinerie) am Gesamtwert und schrumpfendem variablen Kapital wird der Anteil des Mehr werts am Gesamtkapital immer geringer, wäh- rend er im Verhältnis zum va- riablen Kapital astronomische Höhen erreicht. Die Mehrwertrate ist das Verhältnis des Werts der unbezahlten Mehrarbeit zum Wert der Artbeitskraft = Arbeitslohn. Seinen Profit misst der Kapitalist aber nicht am Verhält- nis zum Arbeitslohn, sondern am Verhältnis zum gesamten vorgeschossenen Kapital. Mit wachsender organi- scher Zusammensetzung, d. h. Anteil des fixen Kapitals am Gesamtkapital, wird daher die Mehrwertrate zwar steigen, die Profitrate aber fallen. Es wird sich immer weniger lohnen, in die Industrie zu investieren.
Das lässt sich überhaupt nicht in Formeln und Begriffe fassen. Es kann, wenn es soweit ist, nur rein faktisch beschrieben werden. Das bedeutet zu allem Überfluss: Ob es aber überhaupt je soweit kommt, lässt sich nicht theoretisch beurteilen. Es ist kein Verhältnis darzustellen, sondern ein Faktum müsste eintreten, doch wenn nicht, dann nicht.
*
Dass Marx sich so umfänglich an Adolph Wagner aufgehalten hat, ist politisch begründet. Nicht nur war Wagner eine akademische Autorität ersten Ranges (schließlich sogar Rektor der Berliner Universität), sondern auch ein namhafter Kathedersozialist auf dem äußersten rechten Flügel der Konservativen. In wirtschaftstheo- retischer Hinsicht folgte er Karl Rodbertus, der als Begründer des "Staatssozialismus" gilt. Er konnte anders als andere Ökonomen Marxens Kapital nicht einfach ignorieren, und Marx konnte ihn nicht ignorieren, solange in der deutschen Arbeiterbewgung die Erinnerung an Lassalle noch lebendig war.
JE
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen