Dienstag, 5. Juni 2018

Die Quintessenz der Kritik.


Der wirkliche Reichthum manifestirt sich vielmehr – und dieß enthüllt die grosse Industrie – im ungeheuren Mißverhältniß zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Product, wie ebenso im qualitativen Mißver- hältniß zwischen der auf eine reine Abstraction reducirten Arbeit und der Gewalt des Productionsprocesses den sie bewacht.

Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr in den Productionsprocess eingeschlossen, als sich der Mensch viel- mehr als Wächter und Regulator zum Productionsprocess selbst verhält. (Was von der Maschinerie gilt, ebenso von der Combination der menschlichen Thätigkeit und der Entwicklung des menschlichen Verkehrs.) Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modificirten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich ein- schiebt; sondern den Naturprocess, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Productionsprocess, statt sein Haupt- agent zu sein. 


In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Productivkraft, sein Verständniß der Natur, und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper – in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der grosse Grundpfeiler der Production und des Reichthums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichthum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die grosse Industrie selbst geschaffne. 

Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die grosse Quelle des Reichthums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maaß zu sein und daher der Tauschwerth [das Maaß] des Gebrauchswerths. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen / Reichthums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwerth ruhnde Production zusammen, und der unmittelbare materielle Productionsprocess erhält selbst die Form der Nothdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. 

Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduciren der nothwendigen Arbeitszeit um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduction der nothwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht. 

Das Capital ist selbst der processirende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu re- duciren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maaß und Quelle des Reichthums sezt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der nothwendigen, um sie zu vermehren in der Form der über- flüssigen; sezt daher die überflüssige in wachsendem Maaß als Bedingung – question de vie et de mort – für die nothwendige. 

Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Combination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichthums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Werth als Werth zu erhalten. 
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Grundrisse, 
MEGA II/1.2  S. 581f. [MEW 42, S. 600f.]     



Nota I. - Das ist radikaler als was er später in Kapital III schreiben wird. Dort meint er, ein Rudiment von not- wendiger Arbeit und also ein Reich von Notwendigkeiten werde als Bedingung des Reichs der Freiheit stets er- halten bleiben. Hier aber tritt der Mensch neben den Prokuktionsprozess, zu dem er sich nur noch als Wächter und Regulator verhält. Und natürlich muss dann die Arbeitszeit aufhören, als einziges Maß und Quelle des Reichtums zu gelten.
 

24. 12. 16 

Nota II. - Ein elementares Quantum menschlicher Tätigkeit wird im materiellen Produktionsprozess stets erfor- derlich bleiben. Aber nicht länger wird es erforderlich sein, diese Tätigkeit unter den politisch-ökonomische Be- griff Arbeit zu fassen; jedenfalls nicht im Sinne eines Austauschs von Arbeitskraft gegen Kapital, was die Entste- hung der Mehrwerts (und die gesamte wirtschaftliche Entwicklung) aus der Ausbeutung unterstellt. Der fortdau- ernde Gebrauch der Begriffe unterstellt die Fortdauer des Verhältnisses, das sie begreifen sollen - doch eben die steht ja in Frage.

Seine Grablegung wäre das bedarfsunabhängige Grundeinkommen. Die eine Voraussetzung des kapitalistischen Systems, die Monopolisierung der Produktionsmittel durch eine Gesellschaftsklasse, bliebe prima facie unbeein- trächtigt. Aber die andere Seite der Voraussetzung ginge verloren: dass ihnen auf der andern Seite eine Klasse von Menschen gegenübersteht, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft - und sie verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Unter diesen Prämissen würde der Preis der Arbeitskraft nicht durch einen Marktprozess und ein ökonomisches Maß reguliert, sondern mehr oder weniger zufällig: durch Angebot und Nachfrage. 

Der 'Wert der Arbeit' - die wierde, wie Luther schrieb - würde nicht bestimmt durch die Reproduktionskosten der Arbeitskraft, sondern tatsächlich durch die subjektiv empfundene Mühsal: mhd. diu arebeit. Die unbliebtesten, weil unangenehmsten Arbeiten -  Müllabfuhr, Krankenpfleger - müssten am teuersten, die quasi künstlerischen Tätig- keit der HighTechniker, die am meisten Ausbildung verlangen, am billigsten entlohnt werden - weil solche Leute eher umsonst arbeiten, als ihre Zeit mit entertainment zu verplempern.

Kurz und gut, das Kapitalverhältnis wäre zugrunde gegangen.
JE





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