Mittwoch, 6. Juni 2018
Reich der Notwendigkeit und Reich der Freiheit.
Der wirkliche Reichthum der Gesellschaft, und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktions- processes hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.
Das Reich der Freiheit beginnt in der That erst da, wo das Arbeiten, das durch Noth und äußere Zweckmäßig- keit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduciren, so muß es der Civilisirte, und er muß es in allen Gesell-/schaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen.
Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnothwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die associirten Producenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur ratio- nell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht be- herrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.
Aber es bleibt dies immer ein Reich der Nothwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftent- wicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Noth- wendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.
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Das Kapital III, MEGA II/15, S. 794f. [MEW 25, S. 828f.]
Nota. - In den Grundrissen hatte M. noch Formulierungen gebraucht, die dem schlaraffenländischen Traum vom Ende der Arbeit ganz nahe kommen. "In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wahren Reichtums abhängig weniger von dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder in keinem Verhält- nis stehen zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemei- nen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie. Was Tätigkeit des Arbeiters war, wird Tätig- keit der Maschine.“ Grundrisse, MEW 42, S. 600f.
Das klingt so, als bliebe uns als 'Arbeit' am Schluss der Entwicklung nur die Aufsicht über die Maschinen. Das ist eine Tätigkeit zwischen Wissenschaft und Kunst und wird eo ipso 'stets unter Wert bezahlt', denn das in ihr ak- kumulierte Wissen und Geschick von vielen Generationen ist eine astronomische Geldsumme 'wert', während doch schon ein Bruchteil davon ausreicht, den 'Arbeiter' in Wohlstand zu setzen. Das Wertgesetz müsste vergehen, weil die 'notwendige' Arbeit für den Arbeiter nicht länger notwendig wäre!
Was in unsern Tagen wie eine ganz reale Möglichkeit aufscheint, war doch, als sich M. an die Ausarbeitung des III. Bandes machte, eine Utopie, mit der er den wisschenschaftlichen Status des gedruckten Werks nicht kompro- mittieren mochte. Doch vor allem wollte er der eben neu erwachenden Arbeiterbewegung nicht ins Stammbuch schreiben, man... müsse nur ein paar hundert Jahre warten, dann werde sich das Wertgesetz schon von allein erle- digen.
Und wenn wir's recht bedenken, ist da "von alleine" gar nichts geschehen; es waren vielmehr zwei Weltkriege und eine misslungene Epoche der Weltrevolution dazu nötig.
JE
Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE
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