Sache der Kritik war es, die wissenschftlichen Mystifikationen der Politischen Ökonomie aufzudecken. Doch war ihr Zweck kein wissenschaftlich-theoretischer, sondern ein politisch-praktischer. Nämlich der, die tatsäch- lich stattfindende Arbeiterbewegung zu rechtfertigen. Rechtfertigen nicht in engen Sinn als Entschuldigen durch das Leiden, sondern im weiten Sinn als Legitimieren durch ihren Zweck. Die Waffe der Kritik konnte die Kritik der Waffen nicht ersetzen.
aus Marx und Fichte
III. ‚Historischer Materialismus‘ oder: die „Metakritik“ der politischen Ökonomie
Die
spezifische Arbeit der Kritik ist es, „eine Wissenschaft erst auf den
Punkt zu bringen, um sie dialektisch darstellen zu können“ — das
bedeutet: die Aufdeckung des „dialektischen Scheins“ (Kant), wonach die
kate- gorialen (‚Sinn‘-) Bestimmungen an oder in dem Faktischen (‘Sein’,
‘Material’) selbst gegeben seien; Dar- stellung, daß — und w i e — sie
‘in Wirklichkeit’ in den Stellungnahmen des (interessierten) Subjekts,
also praktisch, begründet sind.
Die dialektische Darstellung selbst, nämlich „das R a t i o n e l l e an [dieser] Methode“, ist gerade Dar- stellung d e r K r i t i k: das Material jener Wissenschaft aus seiner Gebundenheit in die gegebenen Form- bestimmtheiten zu lösen, um den P r o z e ß der Form b e s t i m m u n g als solchen zu rekonstruieren, ‘vor unseren Augen erstehen zu lassen’ — als „Wechselwirkung“ der Kategorien. Aber da das Material sich ja eben n i c h t ‚als solches‘, ‚unabhängig‘ von jeder Form darstellen läßt, ist dies nur zu bewerkstelligen, in- dem die — ‘immer schon’ vorauszusetzenden — Formbestimmungen a l s v e r s c h w i n d e n d darge- stellt; indem also „die Grenzen“ der dialektischen Begriffsbewegung nicht bloß„gekannt“, sondern selber als solche zur Darstellung gebracht werden.
Dieser Punkt ist erreicht, wo die Begriffsdialektik sich ad absurdum führt, weil sie sich „in einem fehlerhaf- ten Kreislauf herumdreht“, im L e e r e n sich dreht: beim Übergang vom „Geld als Geld“ zum „Geld als Kapital“ bzw. von der einfachen Zirkulation zur Verwertung; denn da zeigt sich, daß „die dialektische Form der Darstellung“ des kapitalistischen Reproduktionsprozesses das Wertgesetz immer schon voraussetzen muß, und es eben nicht e r k l ä r e n, geschweige denn begründen kann.
Darum ist „die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ der logische Dreh- und Angelpunkt der Marx’schen Darstellung: der tatsächliche Vorgang der Trennung der Arbeiter von ihrem Arbeits-, d.h. Lebensmittel (dem B o d e n), der sich eben nicht ’aus Begriffen entwickeln’, sondern nur e m p i r i s c h b e s c h r e i b e n läßt (vgl. 'Formen'-Kapitel der Grundrisse).
Wie am ‘Anfang’ der Kapitalentwicklung, so an ihrem ‘Ende’: Der „reale Prozeß“ erweist sich als der logi- schen Entwicklung inkommensurabel; in dem Moment, wo die Gebrauchswerte faktisch immer weniger durch „lebendige Arbeit“ erzeugt werden, sondern stattdessen von der aufgehäuften “toten Arbeit“, die als „Geschicklichkeit + Wissenschaft“ in der M a s c h i n e objektiviert ist, wird deren Wertbestimmung durch die („menschliche Arbeits-“) Z e i t hinfällig (vgl. Abschnitt „Fixes Kapital“ in den Grundrissen). (Dies die allgemeinste Formulierung des Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z e s …)
Es ist dies die B e h a u p t u n g des G e b r a u c h s wertseite des (f i x e n) Kapitals — „tote Arbeit“ – gegen die F o r m bestimmtheit der lebendigen Arbeit; es ist dies der S t o f f, das Faktische, das sich gegen die gesellschaftlich-allgemeinen Geltungen s e l b s t z u r G e l t u n g b r i n g t; und der „Gebrauchs- wert“ ist ja nichts anderes als die gegenständliche Form des (selbsterzeugten) B e d ü r f n i s s e s.
Von hier aus läßt sich nun des „Wertproblem“ rationell darstellen, nachdem das selbsterzeugte Bedürfnis als dessen reeller wie logischer G r u n d aufgefunden ist (‘reell’ und z u g l e i c h ‘logisch’, weil p r a k t i s c h…): Der ”Wert“ ist die Form, in der sich unter historisch-bestimmten, t a t s ä c h l i c h e n Bedingungen die Frage der gesellschaftlichen G e l t u n g wirklich stellt: als die Verteilung der gesellschaftlichen Z e i t auf die zu realisierenden Bedürfnisse:
1) Im ‘Anfang’ ist die Zeit reichlich, weil die Bedürfnisse a r m: das praktische Problem, die individuellen Bedürfnisse gegen einander zu w ä g e n, zu „schätzen“, zu w e r t e n als solche, die ‘gelten’ sollen oder nicht…, ist gar nicht gestellt; denn die Bedürfnisse sind ‘naturgegeben’ und als solche einander gleich-gültig, weil sie zugleich auch a priori befriedigt sind: von der ‘Natur’; ‘Ökonomie’ findet nicht statt, sondern ökolo- gische Homöostase: Naturbedürfnis und Aneignung vorgefundener Lebensmittel gleichen sich gegenein- ander aus durch das Naturgesetz von Anpassung und Selektion.
Zeit ist eo ipso f r e i e Zeit (also gar keine!)
2) ‘Beginn’ der G e s c h i c h t e durch Erzeugung neuer, k u l t u r e l l e r Bedürfnisse; empirisch: Erzeu- gung von Ü b e r s c h u ß über den „Konsumtionsfonds“ der “naturwüchsigen Gemeinwesen“ hinaus; und das Bedürfnis d a n a c h. Die Zeit wird jetzt k n a p p, indem die Bedürfnisse r e i c h e r werden. Die (gemeinsame) Zeit muß auf die (individuellen) Bedürfnisse v e r t e i l t werden; die Bedürfnisse müssen g e s e l l s c h a f t l i c h g e w e r t e t werden.
Die Scheidung der ‘höheren’ Bedürfnisse von den ‘niederen’ stellt sich dar in der Ausbildung ‘höherer‘ K l a s s e n, die, indem ihre Existenz die beständige Erzeugung von Überschuß als gesellschaftliche N o t w e n d i g k e i t setzt, Motor der A k k u m u l a t i o n werden: Akkumulation der Bedürfnisse, Anhäufung und Monopolisierung der Produktivkräfte (H e r r s c h a f t über das Arbeitsvermögen).
Die Verknappung der Zeit erzwingt Ö k o n o m i e (= Zeitersparnis): Arbeitsteilung und Kooperation. Objektivierung der akkumulierten Bedürfnisse in der Qualifizierung der Produktivkräfte: Arbeitsmittel und Arbeitsvermögen.
Die Zeit erscheint eo ipso gesetzt als A r b e i t s zeit.
Der Austausch (nb. zunächst Austausch der Überschüsse!) vermittelt die naturwüchsigen Gemeinwesen zur geschichtlichen G e s e l l s c h a f t; die Menschen werden zu (privaten) I n d i v i d u e n, die durch den M a r k t in allgemeinen Verkehr miteinander gebracht werden: Verallgemeinerung von Arbeitsteilung und Kooperation. Der Arbeitsprozeß wird selbst gesellschaftlicher, reell allgemeiner Prozeß.
Verallgemeinerung des Austauschs, Verallgemeinerung der Bedürfnisse: das ‘höhere’ Bedürfnis wird zum g e m e i n e n Bedürfnis (die privilegierten Bedürfnisse der monopol1isierenden Klassen hören auf, Trieb- feder (und also notwendig für die Akkumulation [Kulturation] zu sein.)
Akkumulation bedeutet: fortschreitende Verschiebung der Produktivkraft von der „lebendigen“ Arbeit (der Menschen) auf die angehäufte „tote“: das Arbeitsmittel; als M a s c h i n e = f i x e s K a p i t a l ; Verlage- rung der Produktivkraft aus dem lebendigen Subjekt ins unbelebte Objekt – und das heißt j e n s e i t s der Z e i t!
3) Nun können die Bedürfnisse (soweit sie auf Gegenstände [!] gerichtet sind) als durch das selbsttätige Arbeitsmittel virtuell i m m e r s c h o n r e a l i s i e r t gelten; indem die Zeit aufhört, a priori als A r b e i t s zeit bestimmt zu sein, hört sie auch auf, mögliches Maß der Werte zu sein: die Notwendigkeit des Wertens selbst entfällt! Die Wertproduktion ‘entfällt’, das Kapitalverhältnis bricht zusammen. —
Derart arbeitet die kapitalistische Weise der Verteilung der disponiblen Zeit auf die sich geltend machenden Bedürfnisse auf ihren eigenen Zusammenbruch hin. Aber das Untergehn der F o r m bestimmung a k t u a l i s i e r t eben die Frage nach ihrem G r u n d: ’Soll’ der Zusammenbruch stattfinden als D e s a k k u m u l a t i o n (letzten Endes: der Bedürfnisse selbst!) = ‘Untergang in der Barbarei’? Oder als f r e i – Setzung der Bedürfnisses ’a l s’ sich selbst erzeugende; ‘schlechthin’-Setzung des Bedürfnisses als „freie Tätigkeit“ — d.h. „Leben“ nicht mehr als A r b e i t, sondern als… "S p i e l ".
Summa: ‘Kritik’ bedeutet, allgemein gesprochen, nichts anderes als die Zurückführung des theoretischen Wissens auf seinen praktischen Grund. Dieser G r u n d ist bei Marx das selbsterzeugte, sich selbst erzeugende Bedürfnis. Dessen Darstellung als ‘Stoff’, als das M a t e r i a l e der Geschichte, wird treffend ‘historischer M a t e r i a l i s m u s‘ genannt. Und diese Handhabung der Dialektik als — wie Kant sie nennt — „Katharktikon des Verstandes“ zur D a r s t e l l u n g jenes Grundes ist, ebenso wie Fichtes ‘Wissenschaftslehre’, M e t a - Kritik.
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