Dienstag, 11. August 2015

Liegt der Gebrauchswert außerhalb der ökonomischen Betrachtung?


In der Reproduction als Waare ist das Capital in einer bestimmten Form des Gebrauchswerths fixirt, und so nicht allgemeiner Tauschwerth, noch weniger realisirter Werth, wie es sein soll. Daß es sich als solchen in dem Reproductionsakt, in der Productionsphase gesezt hat, bewährt es erst durch die Circulation. 

Die größre oder mindre Vergänglichkeit der Waare, worin der Werth existirt, erfordert langsamere oder raschere Reproduction desselben; d. h. Wiederholung des Arbeitsprocesses. Die besondre Natur des Gebrauchswerths, worin der Werth existirt, oder die jezt als Körper des Capitals erscheint, erscheint hier als selbst Formbestimmend und die Aktion des Capitals bestimmend; einem Capital eine besondre Eigenschaft gebend gegen das andre; es besondernd. 

Wie wir schon an mehren Fällen sahen, ist daher nichts falscher als zu [meinen], daß die Unterscheidung zwischen Gebrauchswerth und Tauschwerth, die in der einfachen Circulation, so weit sie realisirt wird, ausserhalb der ökonomischen Formbestimmung fällt, überhaupt ausserhalb derselben fällt. Wir fanden vielmehr auf den verschiednen Stufen der Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse den Tauschwerth und Gebrauchswerth in verschiednen Verhältnissen bestimmt, und diese Bestimmtheit selbst als verschiedne Bestimmung des Werths als solchen erscheinend. Der Gebrauchswerth spielt selbst als ökonomische Categorie eine Rolle. 

Wo er dieß spielt, geht aus der Entwicklung selbst hervor. Ricardo z. B. der glaubt die bürgerliche Oekonomie handle nur vom Tauschwerth, und nehme blos exoterisch Bezug auf den Gebrauchswerth, nimmt grade die wichtigsten Bestimmungen des Tauschwerths aus dem Gebrauchswerth, seinem Verhältniß zu ihm: f. i. Grundrente, Minimum des Salairs, Unterschied von Capital fixe und circulant, dem grade er bedeutendsten Einfluß auf die Bestimmung der Preisse (through the different reaction produced upon them by a rise or fall in the rate of wages) zuschreibt; ebenso im Verhältniß von Nachfrage und Zufuhr etc. Dieselbe Bestimmung erscheint einmal in der Bestimmung des Gebrauchswerths und in der des Tauschwerths, aber auf verschiednen Stufen und mit verschiedner Bedeutung. 
                     
Brauchen ist consumiren, sei es für die Production oder Consumtion. Tauschen ist dieser Akt vermittelt durch einen gesellschaftlichen Process. Das Brauchen selbst kann gesezt sein und blose Consequenz sein des Tauschens: andrerseits das Tauschen als Moment blos des Brauchens / erscheinen etc. Vom Standpunkt des Capitals (in der Circulation) erscheint das Tauschen als Setzen seines Gebrauchswerths während andrerseits sein Brauchen (im Productionsakt) als Setzen für den Tausch, als Setzen seines Tauschwerths erscheint. Es ist ebenso mit der Production und Consumtion. In der bürgerlichen Oekonomie (wie in jeder) sind sie in spezifischen Unterschieden und in spezifischen Einheiten gesezt. Es gilt eben diese differentia specifica zu verstehn. 
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Grundrisse, MEGA II/1.2, S. 530f. [MEW 42, S. 546]


Nota. -
Man kann die Wege der Marx-Rezeption in den 60er und 70er Jahre nicht rein wissenschaftslogisch verstehen. In dieser Zeit sei die Marx'sche Terminologie zur "Lingua Franca der westlichen Intelligenzia" aufgestiegen, wurde gesagt. Na, mindestens der westdeutschen philosophischen Seminare. Das Marx-Verständ- nis war rundum vom Geist der Frankfurter Schule geprägt, und auch die Beschäftigung mit der Kritik der Politischen Ökonomie geschah nur in ideologiekritischer Absicht. "Formanalyse" hieß das Zauberwort, und ihr Medium war "Begrifflichkeit". In diesem Ambiente war der Gebrauchswert und waren die rohen Fakta wie ungebildete Rüpel, die in den Gesprächen der Wissenden nichts verloren hatten.

Und sie ahnten nicht, wie sehr sie damit den stalinistischen Buchstabengelehrten im Osten auf dem Leim gegangen waren. Aus dem Marx'schen Texten alles auszuscheiden, und sei es dem ausdrücklichen Wortlaut entgegen, was dynamisch, kritisch und entmystifizerend ist, war ihr Auftrag und ihr eignes Temperatment, und wo bei Marx die Dialektik zu jener Melodie wird, die die versteinerten Verhältnisse zu Tanzen bringt, machten sie daraus ein hohles Klappern in der Begriffskiste. Dass sie dabei tief ins Hegel'sche Repertoire griffen, lag in der Natur der Sache. Die Begriffe objektivieren, die Subjekte verbegrifflichen, das war im Westen wie im Osten der gemeinsame Nenner.

Objektiv ist der Tauschwert, der Gebrauchswert ist das bloß-Subjektive. Das war schon der Standpunkt der Politischen Ökonomen gewesen, und Ricardo, der doch, wie wir hier erfahren, den Gebrauchswert an der wichtigen Stelle des fixen Kapitals zur verdienten Ehre kommen lässt, glaubt als Meta-Theoretiker, er gehöre nicht in die ökonomische Betrachtung. Und so muss es ja sein: Der Tauschwert ist der Wert, und der Wert ist die Ur-Mystifikation der bürgerlichen Welt: Es tauscht sich Gleiches gegen Gleiches, das ist das Naturgesetz, und Ruhm und Verdienst der bürgerliche Gesellschaft war, es freigesetzt und allgemein gültig gemacht zu haben. 

So weit die Politische Ökonomie. Die Kritik der Politischen Ökonomie dagegen sagt: Das Kapital bezahlt nur den Tauschwert der Arbeitskraft, es eignet sich aber an ihren Gebrauchswert, und der ist das produktive Ver- mögen. Die Kritik der Politischen Ökonomie ist die Entzauberung des Wertbegriffs und die Geltendmachung des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert.
JE




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