Sonntag, 30. August 2015
Die pragmatische Wiederherstellung der kritischen Methode.
Begriffe ohne Anschauung sind leer, hatte Kant den rationalistischen Dogmatikern seiner Zeit, zu denen er eben noch selbst gehört hatte, hinter die Ohren geschrieben. Begriffe werden nicht ergriffen, sondern vom reflektierenden Verstand aus Anschauungen gemacht. Das sollte als Die Kopernikanische Wende der Philoso- phie in die Lehrbücher eingehen. Doch Kant war noch keine zehn Jahre tot, da geisterte der Begriff schon wieder als sich selbst bewegendes Subjekt/Objekt durch die Metaphysik.
Dazwischen lag eine wahrhaftige Konterrevolution im Denken. Der Begriff erhebt sich als Absoluter Geist über alle Realität und verleibt sich selbst noch die Iche ein, die Geschichte, die ganze Welt ist nichts als die Parusie des Begriffs, eine zyklische Bewegung, in der er, durch die Endlichkeit hindurch, am Ende doch wieder zu sich zurückkehrt.
In der Gestalt des Hegel'schen Systems kehrte der dogmatische Rationalismus - mit mystizistischen Strähn- chen, das ist wahr - für drei Jahrzehnte zur Herrschaft zurück und vermochte selbst die literarische Erinnerung an die Kritische, die Transzendentalphilosophie zu tilgen.
Dem hat das Aufkommen der Hegel'schen Linken im deutschen Vormärz nicht wirklich Abhilfe geschaffen. Die Hegel'sche Schule war im wilden Bacchanal der Kritischen Kritik zerfallen, das war alles. An eine Rückkehr zum weiland mutwillig abgerissenen transzendentalen Ansatz dachte von den Philosophen keiner.
Nicht als Philosoph hat Marx die Hegel'sche Mystifikation überwunden, sondern als Historiker und Kritiker der Politischen Ökonomie. Sein wissenschaftliches Lebensthema war ihm von Engels in den Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie vorgegeben worden, und lange glaubte er, das lückenhafte Klassische System der Politischen Ökonomie nach Hegels dialektischer Methode vervollständigen zu sollen. Und da fand sich, dass nicht die Begriffe sich bewegen, sondern die wirklichen historischen Subjekte. Unter großen Mühen kam er schließlich dazu, den Begriff auf sein kritisch gebotenes Maß zurückzuführen: als kritisches Instrument in der Hand des analysierenden Historikers. Dessen bestimmte Aufgabe ist gerade, die Stellen ausfindig zu machen, die von den Begriffen nicht 'erfasst' werden, und an denen der historische Bericht die Lücke füllen muss: Nicht der Wertbegriff begründet das Kapital, sondern die Vertreibung des Landvolks vom Boden begründet das Wertgesetz.
Marx hat Fichte nicht gelesen, das lässt sich (fast) schlüssig dokumentieren und bei Gelegenheit werde ich das tun; die Dialektik in ihrer ursprünglichen, kritischen und rationellen Gestalt in Form des Fichte'schen analy- tisch-synthetischen Verfahrens, hat er nicht gekannt. Er hat auch nicht mit metatheoretischen Spekulationen über die richtige Methode begonnen, sondern mit der Analyse selbst, und musste die gebotene kritische Wen- dung auf denkpragmatischem Weg an der Stelle einführen, wo sie unvermeidlich wurde.
Nicht der Begriff 'schlägt um', sondern ein Begreifender wechselt den Gesichtspunkt, das ist das ganze Ge- heimnis der pp. Dialektik.
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Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Ruhe, in dieser Ruhe wird das, was eigentlich ein Täti- ges ist, ein Gesetztes; es bleibt keine Tätigkeit mehr, sondern ein Produkt, aber nicht etwa ein anderes Produkt als die Tätigkeit selbst, kein Stoff, kein Ding, welches vor dem Vorstellen des Ich vorherging; sondern bloß das Handeln wird dadurch, dass es angeschaut wird, fixiert; so etwas heißt ein Begriff, im Gegensatz der Anschau- ung, welche auf die Tätigkeit als solche geht.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 32f.
Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff. ... Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst. ...
Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusst- seyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung / vor der Anschauung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst.
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ders., Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,[1797] SW I, S. 533f.
Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus.
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ders., Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182
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Derlei Reflexionen finden sich bei Marx nicht. Er bleibt eng an seinem Gegenstand, nur nebenher spottet er über das statische Denken der Begriffshuber.* Es geht aber um die Methode, die er an seinem Gegenstand tatsächlich entwickelt, und nicht um das, was er darüber sagt.
*) s. Randglossen zu A. Wagners "Lehrbuch der politischen Ökonomie", MEW 19, S. 373
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