Montag, 12. Dezember 2016
Apagogische Dialektik, oder: Freiheit ist Verschwendung.
Reichtum ist: die Zeit zu haben, etwas völlig Zweckloses zu tun, und darum ist "Reichtum" der Schlüsselbegriff der Kritik der Politischen Ökonomie - im Gegensatz zu "Wert" und "Arbeit": nicht die Verausgabung von Kraft, sondern Verschwendung: das ist Reichtum, Luxus, Freiheit...
Dabei wäre also die Kritik eine Inquiry into the Very Nature of the Wealth Of Nations, weil nämlich der Begriff Reichtum als Leerformel übernommen wird: Es wird gewissermaßen "konzediert", dass es einen wissenschaft- lich identifizierbaren Bereich namens 'die Ökonomie' gebe, dessen Inhalt 'Erzeugung und Verteilung des Reich- tums' sei - "was immer man auch einstweilen darunter verstehen wolle..."
Der apagogische Charakter der Darlegung sieht so aus:
1. Es gibt ein identifizierbares Reich 'des Ökonomischen';
2. dessen Inhalt ist: Wesen und Ursache (=Produktion) des 'Reichtums';
3. Reichtum ist Tauschwert und Tauschwert ist Arbeit.
Das sind die dogmatischen Pfeiler der Politischen Ökonomie. Und die konzediert M. am Eingang seiner Dar- stellung (tatsächlich am Eingang seiner Untersuchung selbst), und dann widerlegt er die Bestimmung des Reich- tums als "Wert"="Arbeit" durch eine consecutio ad absurdum: Er "reitet das Argument zu Tode", indem er die Konsequenzen in den Widerspruch zu den Prämissen treibt: Das ist die Standardform apagogischer Beweisführung: eine Demonstration "ex concessis", aber keineswegs so, dass der Gegner auf Argumente festgelegt wird, die er mir zugeben muss, sondern so, dass ich ihm seine Prämissen einräume, und vorführe. dass auf diesem "Grund" kein Gebäude zu errichten ist.
Konkret: dass der Reichtum nicht (Wert=) Arbeit ist, sondern im Gegenteil der Überfluss im Gegensatz zur Arbeit (welche 'notwendige', 'naturbestimmte' Tätigkeit ist, nicht 'freie'='selbstbestimmende').
Es liegt aber in der Natur des apagogischen Beweises, dass er zwar in concreto widerlegt, aber nicht - wo er positiv ist - seinen eigenen 'Standpunkt' (positio) 'begründet'; abstrakt ist: rein formal, "lemmatisch".
Also: Es zeigt sich, dass der 'Inhalt' des 'Reichtums' nicht, wie bei Smith/Ricardo, "Arbeit" ist, sondern 'Frei- heit'; aber wo also "Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig, als Verteidigung, d.i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben, und darum die Freiheit dreust vor unmöglich erklären." Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, B/A 121
So Vilfredo Pareto: "Le Capital n'st, par rapport au reste de l'oeuvre de Marx, qu'un appendice destiné à débla- yer le terrain des objections qu'on pourrait faire à la doctrine [communiste] en se fondant sur l'économie politi- que." (zit. nach Alain Barrère, Histoire de la pensée économique et analyse contemporaines, Paris 1974, S. 433)
[ Wobei zu beachten, dass M. am Beginn seiner kritischen Arbeit - teste Grundrisse bis "ursprüngliche Akkumu- lation" - die Prämissen - "Kategorien" - der Politischen Ökonomie nicht "zum Schein", sondern allen Ernstes eingeräumt hat: Er hat sich daran gemacht, "das Kapital" aus "dem Wert" [="der Arbeit"] zu "erklären" - und es ist ihm nicht gelungen - weil er auf das Faktum der Unfreiheit = 'Notdurft' = "urspüngliche Akkumulation" gesto- ßen ist!]
- Freileich: Wenn der 'Reichtum' nun nicht mehr positiv bestimmt ist, nicht (mehr) "konkret" erscheint, geht es auch nicht an, ihn als besonderen Bereich der "menschlichen Lebenstätigkeit" aufzufassen. Er ist dann aufgelöst ins Allgemeine: 'Setzen der Freiheit', und ergo verliert "die Ökonomie" ihren Status als besondere Wissenschaft - und wird zur Propädeutik der Geschichtswissenschaft (welche die einzige ist, die "wir kennen", cf. Deutsche Ideologie) - insofern in ihr die "Anatomie der bürgerliche Gesellschaft" erscheint; sofern diese nämlich 'naturwüchsiges' Pro- dukt der 'Notdurft' ist; während die jedoch zugleich 'als' Produkt der Freiheit 'gelten' soll, d.h. "praktisch": es werden soll.
23. 11. 88
Nachtrag. Eine theoretische Wissenschaft 'Politische Ökonomie' gibt es seither tatsächlich nicht mehr. Was jeweils als 'Volkswirtschaftslehre' o. ä. firmiert, ist eine Art Wirtschaftspolitologie; eine technische Disziplin, die mehr oder minder mathematisierte Modelle entwirft, die es den Regierungen erlauben sollen, auf den Wirt- schaftsverlauf gezielten Einfluss zu nehmen. Bisher hat noch jede die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht.
JE
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