Freitag, 16. September 2016

Die Umwandlung persönlicher Abhängigkeiten in eine sachliche.



Wenn gesellschaftliche Verhältnisse betrachtet werden, die ein unentwickeltes System des Austauschs, der Tauschwerthe und des Geldes erzeugen, oder denen ein unentwickelter Grad derselben entspricht, so ist es von vorn herein klar, daß die Individuen, obgleich ihre Verhältnisse persönlicher erscheinen, nur als Individuen in einer Bestimmtheit in Beziehung zu einander treten, als Feudalherr und Vasall, Grundherr und Leibeigner etc oder als Kastenglieder etc oder als Standesangehörige etc. / 

Im Geldverhältnisse, im entwickelten Austauschsystem (und dieser Schein verführt die Democratie) sind in der That die Bande der persönlichen Abhängigkeit gesprengt, zerrissen, Blutsunterschiede, Bildungsunterschiede etc (die persönlichen Bande erscheinen wenigstens alle als persönliche Verhältnisse); und die Individuen scheinen unabhängig (diese Unabhängigkeit, die überhaupt blos eine Illusion ist und richtiger Gleichgültigkeit – im Sinn der Indifferenz – hiesse), frei auf einander zu stossen und in dieser Freiheit auszutauschen; sie scheinen so aber nur für den, der von den Bedingungen, den Existenzbedingungen (und diese sind wieder von Individuen unabhängi- ge und erscheinen, obgleich von der Gesellschaft erzeugt, gleichsam als Naturbedingungen, d. h. von den Indivi- duen uncontrollirbare) abstrahirt, unter denen diese Individuen in Berührung treten. 

Die Bestimmtheit, die im ersten Fall als eine persönliche Beschränkung des Individuums durch ein andres, er- scheint im leztren ausgebildet als eine sachliche Beschränkung des Individuums durch von ihm unabhängige und in sich selbst ruhende Verhältnisse. (Da das einzelne Individuum nicht seine persönliche Bestimmtheit ab- streifen, wohl aber äussere Verhältnisse überwinden und sich unterordnen kann, so scheint seine Freiheit im Fall 2 grösser. Eine nähre Untersuchung jener äussren Verhältnisse, jener Bedingungen zeigt aber die Unmög- lichkeit der Individuen einer Klasse etc sie en masse zu überwinden, ohne sie aufzuheben. Der einzelne kann zufällig mit ihnen fertig werden; die Masse der von ihnen beherrschten nicht, da ihr bloses Bestehn die Unter- ordnung, und die nothwendige Unterordnung der Individuen unter sie ausdrückt.) 
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Grundrisse, MEGA II/1.1, S. 95f. [MEW 42, S. 96f.]



 Nota. - "...die Unmöglichkeit der Individuen einer Klasse etc sie en masse zu überwinden, ohne sie aufzu-heben": das ist die wesentliche Bestimmung der Condition prolétarienne.  

Ab wo hört die Überwindung auf, individuell zu sein, und beginnt, en masse zu geschehen? Die reformistische Arbeiterbegung hat in ihren bürokratischen Apparaten einen Ort geschaffen, wo der individuelle Aufstieg aus dem Proletariat ins (ganz kleine) Kleinbürgertum möglich war. Nicht nach Millionen, aber nach Hunderten, vielleicht Tausenden. 

Die demokratischen Verfassungen haben den Staatsdienst für "das Volk" geöffnet, weil die sozialdemokratischen Schulverwaltungen die Bildung der Massen erweiterten. Die Bildungsreformen der 60er Jahre machten den Schuldienst zum Königsweg zum Aufsteig ins (entzauberte) Bildungsbürgertum. Das Ausufern der demokrati- schen Bürokratien im Wohlfahrtsstaat war tatsächlich der "realexistierende" Sozialismus. Es ist nicht wahr, dass einem Kind aus der Arbeiterklasse keine andere Wahl bleibt als Lohnarbeit oder Verhungern.
JE

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