Samstag, 22. Oktober 2016

Umwandlung persönlicher Abhängigkeiten in sachliche.


 
Wenn gesellschaftliche Verhältnisse betrachtet werden, die ein unentwickeltes System des Austauschs, der Tauschwerthe und des Geldes erzeugen, oder denen ein unentwickelter Grad derselben entspricht, so ist es von vorn herein klar, daß die Individuen, obgleich ihre Verhältnisse persönlicher erscheinen, nur als Individuen in einer Bestimmtheit in Beziehung zu einander treten, als Feudalherr und Vasall, Grundherr und Leibeigner etc oder als Kastenglieder etc oder als Standesangehörige etc.

Im Geldverhältnisse, im entwickelten Austauschsystem (und dieser Schein verführt die Democratie) sind in der That die Bande der persönlichen Abhängigkeit gesprengt, zerrissen, Blutsunterschiede, Bildungsunterschiede etc (die persönlichen Bande erscheinen wenigstens alle als persönliche Verhältnisse); und die Individuen schei- nen unabhängig (diese Unabhängigkeit, die überhaupt blos eine Illusion ist und richtiger Gleichgültigkeit – im Sinn der Indifferenz – hiesse), frei auf einander zu stossen und in dieser Freiheit auszutauschen; sie scheinen so aber nur für den, der von den Bedingungen, den Existenzbedingungen (und diese sind wieder von Individuen unabhängige und erscheinen, obgleich von der Gesellschaft erzeugt, gleichsam als Naturbedingungen, d. h. von den Individuen uncontrollirbare) abstrahirt, unter denen diese Individuen in Berührung treten. 

Die  Bestimmtheit, die im ersten Fall als eine persönliche Beschränkung des Individuums durch ein andres, er- scheint im leztren ausgebildet als eine sachliche Beschränkung des Individuums durch von ihm unabhängige und in sich selbst ruhende Verhältnisse. (Da das einzelne Individuum nicht seine persönliche Bestimmtheit abstreifen, wohl aber äussere Verhältnisse überwinden und sich unterordnen kann, so scheint seine Freiheit im Fall 2 grösser. Eine nähre Untersuchung jener äussren Verhältnisse, jener Bedingungen zeigt aber die Unmög- lichkeit der Individuen einer Klasse etc sie en masse zu überwinden, ohne sie aufzuheben. Der einzelne kann zufällig mit ihnen fertig werden; die Masse der von ihnen beherrschten nicht, da ihr bloses Bestehn die Unter- ordnung, und die nothwendige Unterordnung der Individuen unter sie ausdrückt.) 

Diese äusseren Verhältnisse sind so wenig eine Beseitigung der „Abhängigkeitsverhältnisse“, daß sie nur die Auflösung derselben in eine allgemeine Form sind; vielmehr das Herausarbeiten des allgemeinen Grundes der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse sind. Auch hier kommen die Individuen nur als bestimmte zu einander in Beziehung. Diese sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse im Gegensatz zu den persönlichen erscheinen auch so (das sachliche Abhängigkeitsverhältniß ist nichts als die den scheinbar unabhängigen Individuen selbststän- dig gegenübertretenden gesellschaftlichen Beziehungen, d. h. ihre ihnen selbst gegenüber verselbstständigten wechselseitigen Productionsbeziehungen), daß die Individuen nun von Abstraktionen beherrscht werden, wäh- rend sie früher von einander abhingen. 

Die Abstraktion oder Idee ist aber nichts als der theoretische Ausdruck jener materiellen Verhältnisse, die Herr über sie sind. Verhältnisse können natürlich nur in Ideen ausgedrückt werden* und so haben Philosophen als das eigenthümliche der Neuen Zeit ihr Beherrschtsein von Ideen aufgefaßt und mit dem Sturz dieser Ideen- herrschaft die Erzeugung der freien Individualität identificirt. Der Irrthum war vom ideologischen Standpunkt aus um so leichter zu begehn, als jene Herrschaft der Verhältnisse / (jene sachliche Abhängigkeit, die übrigens wieder in bestimmte nur aller Illusion entkleidete persönliche Abhängigkeitsverhältnisse umschlägt) in dem Bewußtsein der Individuen selbst als Herrschen von Ideen erscheint und der Glaube an die Ewigkeit dieser Ideen, d. h. jener sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse, von den herrschenden Klassen, of course, in jeder Weise befestigt, genährt, eingetrichtert wird. 

(Es ist natürlich der Illusion der „rein persönlichen Verhältnisse“ der Feudalzeiten etc gegenüber, keinen Augenblick zu vergessen, 1) daß diese Verhältnisse selbst innerhalb ihrer Sphäre einen sachlichen Character auf einer bestimmten Phase annahmen, wie die Entwicklung der Grundeigenthumsverhältnisse z. B. aus rein mili- tärischen Subordinationsverhältnissen zeigt; aber 2) das sachliche Verhältniß, worin sie zu Grund gehn, hat selbst einen bornirten, naturbestimmten Charakter und erscheint daher als persönlich, während in der moder- nen Welt die persönlichen Verhältnisse als reiner Ausfluß der Productions- und Austauschverhältnisse heraus- treten.) 
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Grundrisse, MEGA II/1.1, S. 95ff. [MEW 42, S. 96ff.]
 



*Nota. - Scholastisch korrekter müsste es heißen: Verhältnisse können nur in Begriffen ausgedrückt werden. (Desgleichen: Nur Verhältnisse können in Begriffen ausgedrückt werden.)
JE






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