Freitag, 21. Oktober 2016

Der Schein und die Oberfläche.


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... Aller Unterschied zwischen ihnen ist ausgelöscht. Der Verkäufer qua solcher erscheint nur als Besitzer einer Waare zum Preiß von 3 sh., so daß beide vollkommen gleich sind; nur daß die 3 sh. einmal in Silber, das andre Mal in Zucker etc existiren. 

In der 3ten Form des Geldes könnte eine verschiedne Bestimmung zwischen den Subjekten des Prozesses he einzukommen scheinen. Aber so weit das Geld hier als Material, allgemeine Waare der Contracte erscheint, ist vielmehr aller Unterschied zwischen Contrahenten und Contrahenten ausgelöscht. So weit es Gegenstand der Accumulation wird, scheint das Subject hier nur Geld, die allgemeine Form des Reichthums der Circulation zu entziehn, insofern es ihr nicht Waaren zum gleichen Preiß entziehe. 

Accumulirt also das Eine Individuum, das andre nicht, so thut dieß keins auf Unkosten des andren. Das eine genießt den realen Reichthum, das andre sezt sich in Besitz der allgemeinen Form des Reichthums. Wenn das eine verarmt, das andre sich bereichert, so ist das ihr freier Wille und geht keineswegs aus dem ökonomischen Verhältnisse, aus der ökonomischen Beziehung selbst, in die sie zu einander gesezt sind, hervor. Selbst die Erbschaft und dergleichen juristische Verhältnisse, die so entstehende Ungleichheiten verewigen, thun dieser natürlichen Freiheit und Gleichheit keinen Eintrag. Wenn das ursprüngliche Verhältniß des Individuums A nicht im Widerspruch steht zu diesem System, so kann dieser Widerspruch sicher nicht dadurch hervorge- bracht werden, daß das Individuum B an die Stelle des Individuums A tritt, es verewigt. Es ist dieß vielmehr ein Geltendmachen der socialen Bestimmung über die natürliche Lebensgrenze hinaus: eine Befestigung derselben gegen die zufällige Wirkung der Natur, deren Einwirkung als solche vielmehr Aufhebung der Freiheit des Individuums wäre. 

Zudem, da das Individuum in diesem Verhältniß nur die Individuation von Geld ist, so ist es als solches ebenso unsterblich als das Geld und seine Repräsentation durch Erben ist vielmehr die Durchführung dieser Bestim- mung. Wenn diese Auffassungsweise nicht in ihrer historischen Bedeutung hervorgehoben wird, sondern als Widerlegung entgegengehalten wird den entwickeltren ökonomischen Verhältnissen, in denen die Individuen nicht mehr blos als Austauschende oder Käufer und Verkäufer, sondern in bestimmten Verhältnissen zu ein- ander hervortreten, nicht mehr alle in derselben Bestimmtheit gesezt sind; so ist das dasselbe, als wollte be- hauptet werden, daß kein Unterschied, noch weniger Gegensatz und Widerspruch zwischen den Naturkörpern existirt, weil sie, z. B. in der Bestimmung der Schwere gefaßt, alle schwer und demnach gleich sind; oder gleich sind, weil sie alle 3 Raumdimensionen einnehmen. Der Tauschwerth selbst wird hier ebenfalls in seiner einfa- chen Bestimmtheit festgehalten gegen seine ent-/ wickeltren gegensätzlichen Formen. 

Im Gang der Wissenschaft betrachtet erscheinen diese abstracten Bestimmungen grade als die ersten, und dürftigsten; wie sie zum Theil auch historisch vorkommen; das Entwickeltre als das Spätre. Im Ganzen der vorhandnen bürgerlichen Gesellschaft erscheint dieses Setzen als Preisse und ihre Circulation etc als der oberflächliche Process, unter dem aber in der Tiefe ganz andre Processe vorgehn, in denen diese scheinbare Gleichheit und Freiheit der Individuen verschwindet. 

Einerseits wird vergessen, daß von vornherein die Voraussetzung des Tauschwerths, als der objectiven Grund- lage des Ganzen des Productionssystems schon in sich schließt den Zwang für das Individuum, daß sein un- mittelbares Product kein Product für es ist, sondern ein solches erst wird im gesellschaftlichen Process und diese allgemeine und doch äusserliche Form annehmen muß; daß das Individuum nur noch als Tauschwerth Producirendes Existenz hat, also schon die ganze Negation seiner natürlichen Existenz eingeschlossen ist; es also ganz durch die Gesellschaft bestimmt ist; daß dieß ferner Theilung der Arbeit etc voraussezt, worin das Individuum schon in andren Verhältnissen als denen der blos Austauschenden gesezt ist etc. 

Daß also nicht nur die Voraussetzung keineswegs weder eine aus dem Willen, noch der unmittelbaren Natur des Individuums hervorgehende, sondern eine geschichtliche ist und das Individuum schon als durch die Ge- sellschaft bestimmt sezt. Andrerseits wird vergessen, daß die höhren Formen in denen nun der Austausch [er- scheint], oder die Productionsbeziehungen, die sich in ihm realisiren, keineswegs stehn bleiben bei dieser einfa- chen Bestimmtheit, wo der höchste Unterschied, zu dem es kömmt, ein formeller und darum gleichgültiger ist. 

Es wird endlich nicht gesehn, daß schon in der einfachen Bestimmung des Tauschwerths und des Geldes der Gegensatz von Arbeitslohn und Capital etc latent enthalten ist. Diese ganze Weisheit kömmt also darauf heraus bei den einfachsten ökonomischen Verhältnissen stehn zu bleiben, die selbstständig gefaßt reine Abstractionen sind; die aber in der Wirklichkeit vielmehr durch die tiefsten Gegensätze vermittelt sind und nur eine Seite dar- stellen, worin deren Ausdruck verwischt ist. 
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Grundrisse, MEGA II/1.1, S. 170f. [MEW 42, S. 172f.]
  



Nota. -  Passagen wie diese haben mehreren Generationen von Adepten in PollÖck-Schulungen die Köpfe verkleistert. Wenn Marx von der Wissenschaft redet, dann werde er ja wohl sich selbst gemeint haben... 

Nein, er redet von der naiven Wissenschaft der Politischen Ökonomen, die auf den Schein der Wissenschaft hereinfallen: Sie erscheinen als völlig Freie, der eine kauft, der andere verkauft, der eine akkumuliert seie Werte, der andere verzehrt sie je nach seinem privaten Willen. So an der Oberfläche. In einer vermeintlicheb 'Tiefe' dagegen scheinen sich wesentlich andere Prozesse abzuspielen, die im Untergrund ein wirtschaftliches Gesamtge- schehen hervorbringen - nicht mehr "unsichtbare Hand" wie bei Smith, sondern Tiefenströmung: Alles ist fein, die privaten Laster der Individuen führen die Wohlfahrt des Ganzen herbei.

So im "Gang der Wissenschaft", der dogmatisch naiven nämlich. Dort stehen die Dinge auf dem Kopf: Die abstraktesten, reinsten Bestimmungen der bürgerlichen Produktionsweise, die erst auf ihrer höchstentfalteten Entwicklungsstufe 'in Erscheinung' treten, halten sie für die ersten, primitivsten, die kompliziertesten, undurch- sichtigsen dagegen als die höstentwickelten.  (Na ja, "zum Teil" kommen sie doch "auch historisch" so vor, räumt der Kritker ein.) 

Was der mystifizierenden Betrachtungsweise "der Ökonomen" als ein unterirdisch-unmerklicher Prozess 'er- scheint', sind in Wahrheit längst geschehene historische Ereignisse, die im reellen, "oberflächlichen" Prozess von Kaufen und Verkaufen als dessen sachliche Bedingungen fortwirken. Wir sehen also zu, wie Marx sich nicht allein auf empirisch-stoffliche Weise seiner kritisch-historischen Verfahrensweise nähert, sondern - unmittelbar darein verwoben - den dialektischen Schein zerstreut. - Anders hätte er das faktische Mysterium der "ursprüngli- chen Akkumulation" nie enthüllt.
JE




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