Samstag, 21. April 2018

Progressivität der Feudalunordnung.

aus Les Très Riches Heures du duc de Berry

Die dritte Form ist das feudale oder ständische Eigentum. Wenn das Altertum von der Stadt und ihrem kleinen Gebiet ausging, so ging das Mittelalter vom Lande aus. Die vorgefundene dünne, über eine große Bodenfläche zersplitterte Bevölkerung, die durch die Eroberer keinen großen Zuwachs erhielt, bedingte diesen veränderten Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu Griechenland und Rom beginnt die feudale Entwicklung daher auf einem viel ausgedehnteren, durch die römischen Eroberungen und die anfangs damit verknüpfte Ausbreitung der Agrikultur vorbereiteten Terrain. 

Die letzten Jahrhunderte des verfallenden römischen Reichs und die Eroberung durch die Barbaren selbst zerstörten eine Masse von Produktivkräften; der Ackerbau war gesunken, die Industrie aus Mangel an Absatz verfallen, der Handel eingeschlafen oder gewaltsam unterbrochen, die ländliche und städtische Bevölkerung hatte abgenommen. Diese vorgefundenen Verhältnisse und die dadurch bedingte Weise der Organisation der Eroberung entwickelten unter dem Einflusse der germanischen Heerverfassung das feudale Eigentum. 

Es beruht, wie das Stamm- und Gemeindeeigentum, wieder auf einem Gemeinwesen, dem aber nicht wie dem antiken die Sklaven, sondern die leibeignen kleinen Bauern als unmittelbar produzierende Klasse gegenüberste-hen. Zugleich mit der vollständigen Ausbildung des Feudalismus tritt noch der Gegensatz gegen die Städte hinzu. Die hierarchische Gliederung des Grundbesitzes und die damit zusammenhängenden bewaffneten Gefolgschaften gaben dem Adel die Macht über die Leibeignen. 

Diese feudale Gliederung war ebensogut wie das antike Gemeindeeigentum eine Assoziation gegenüber der beherrschten produzierenden Klasse; nur war die Form der Assoziation und das Verhältnis zu den unmittelba-ren Produzenten verschieden, weil verschiedene Produktionsbedingungen vorlagen. Dieser feudalen Gliede-rung des Grundbesitzes entsprach in den Städten das korporative Eigentum, die feudale Organisation des Handwerks. Das Eigentum bestand hier hauptsächlich in der Arbeit jedes Einzelnen. 

Die Notwendigkeit der Assoziation gegen den assoziierten Raubadel, das Bedürfnis / gemeinsamer Markt- hallen in einer Zeit, wo der Industrielle zugleich Kaufmann war, die wachsende Konkurrenz der den aufblü- henden Städten zuströmenden entlaufnen Leibeignen, die feudale Gliederung des ganzen Landes führten die Zünfte herbei; die allmählich ersparten kleinen Kapitalien einzelner Handwerker und ihre stabile Zahl bei der wach-senden Bevölkerung entwickelten das Gesellen- und Lehrlingsverhältnis, das in den Städten eine ähnliche Hierarchie zustande brachte wie die auf dem Lande. Das Haupteigentum bestand während der Feudalepoche also in Grundeigentum mit daran geketteter Leibeignenarbeit einerseits und eigner Arbeit mit kleinem, die Arbeit von Gesellen beherrschendem Kapital andrerseits. 

Die Gliederung von Beiden war durch die bornierten Produktionsverhältnisse – die geringe und rohe Boden-kultur und die handwerksmäßige Industrie – bedingt. Teilung der Arbeit fand in der Blüte des Feudalismus wenig statt. Jedes Land hatte den Gegensatz von Stadt und Land in sich; die Ständegliederung war allerdings sehr scharf ausgeprägt, aber außer der Scheidung von Fürsten, Adel, Geistlichkeit und Bauern auf dem Lande und Meistern, Gesellen, Lehrlingen und bald auch Taglöhnerpöbel in den Städten fand keine bedeutende Teilung statt. Im Ackerbau war sie durch die parzellierte Bebauung erschwert, neben der die Hausindustrie der Bauern selbst aufkam, in der Industrie war die Arbeit in den einzelnen Handwerken selbst gar nicht, unter ihnen sehr wenig geteilt. 

Die Teilung von Industrie und Handel wurde in älteren Städten vorgefunden, entwickelte sich in den neueren erst später, als die Städte unter sich in Beziehung traten. Die Zusammenfassung größerer Länder zu feudalen Königreichen war für den Grundadel wie für die Städte ein Bedürfnis. Die Organisation der herrschenden Klasse, des Adels, hatte daher überall einen Monarchen an der Spitze.
___________________________________________
Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 34f.



Nota. - Das ist anderthalb Jahrhunderte alt und doch noch nicht überholt: in der Geschichtsschreibung eine uneingeholte Leistung. Denn was fehlt, die Einsicht in der progressiven Charakter der feudalen Produktions-weise, lässt sich überhaupt nur im Lichte ebendieser Darstellung erkennen. Anders als die Sklavenarbeit auf den römischen Latifundien hat die bedingte Form des feudalen Eigentums den Grundherrn ebenso wie den Acker- bauern gemeinsam an der wirtschaftlichen Leistung interessiert. Ohne dies wäre die durchgängige Kultivierung des Bodens nördlich und östlich der Alpen in verhältnismäßig kurzer Zeit nicht möglich gewesen. 

Und, so muss man hinzufügen, ohne die kongenitale Rivalität der weltlich und der geistlichen Mächte hätten die Städte, und das heißt: das Bürgertum nicht den Spielraum gefunden, sich als Dritte Macht zwischen sie und schließlich an ihre Stelle zu schieben.

Zwar ist es eine unausgesprochene Prämisse der Marx-Engels'schen Darstellung, doch verdient es, ausdrücklich gesagt zu werden: Unter anderen Voraussetzungen als der Feudalität wäre die Ausbildung der bürgerlichen Gesell- schaft nicht möglich gewesen. Wäre? Ist!  Die einzige Stelle in der Welt, wo eine vergleichbare bürgerliche Ent- wicklung zustande gekommen ist, ist Japan mit seiner nicht 'asiatischen', sondern viel eher feudalen Produkti- onsweise.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen