Freitag, 13. April 2018

Der wahre Reichtum besteht in verfügbarer Zeit.

Fred. Leighton, The Sluggard
 
Die Schöpfung von viel disposable time ausser der nothwendigen Arbeitszeit für die Gesellschaft überhaupt und jedes Glied derselben, (d. h. Raum für die Entwicklung der vollen Productivkräfte des Einzelnen, daher auch der Gesellschaft) diese Schöpfung von Nichtarbeitszeit erscheint auf dem Standpunkt des Capitals, wie aller frühren Stufen, als Nichtarbeitszeit, freie Zeit für einige. Das Capital fügt hinzu, daß es die Surplusarbeitszeit der Masse durch alle Mittel der Kunst und Wissenschaft vermehrt, weil sein Reichthum direct in der Aneignung von Surplusarbeitszeit besteht; da sein Zweck direkt der Werth, nicht der Gebrauchswerth. 

Es ist so, malgré lui, instrumental in creating the means of social disposable time, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduciren, und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen. Seine Tendenz aber immer, einerseits disposable time zu schaffen, andrerseits to convert it into surpluslabour. Gelingt ihm das erstre zu Gut, so leidet es an Surplusproduction und dann wird die nothwendige Arbeit unterbrochen, weil keine surpluslabour vom Capital verwerthet werden kann. 

Je mehr dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, daß das Wachsthum der Productivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder surpluslabour, sondern die Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit sich aneignen muß. Hat sie das gethan, – und hört damit die disposable time auf gegensätzliche Existenz zu haben – so wird einerseits die nothwendige Arbeitszeit ihr Maaß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Productivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichthum aller die Production berechnet ist, die disposable time aller wächst. Denn der wirkliche Reichthum ist die entwickelte Productivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maaß des Reichthums. 

Die Arbeitszeit als Maaß des Reichthums sezt den Reichthum selbst als auf der Armuth begründet und die disposable time nur existirend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit des Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum blosen Arbeiter, Subsumtion unter die Arbeit. Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher jezt länger zu arbeiten als der Wilde thut oder als er selbst mit den einfachsten, rohsten Werkzeugen that.
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Grundrisse, MEGA II/1.2, S. 584f. [MEW 42, S. 603f.]


Nota. - Die Digitale Revolution wirft einen langen Schatten voraus: Schon hat sie die gesellschaftlich notwen- dige Arbeitszeit so weit reduziert, dass es im Westen für alle gar nicht mehr genug zu tun gibt. Was für ein Geschenk 
 als hätte Prometheus den Göttern das Feuer ein zweites Mal gestohlen! Ein zwölftausend Jahre alter Traum der Menschheit geht in Erfüllung: ein Leben lang freie Zeit, ausgefüllt nur mit der Ausbildung meiner eignen Fähigkeiten... wozu? Bloß um sie zu verspielen.

Wie kann die gesellschaftliche Produktion dauerhaft darauf beruhen, dass eine schwindende Handvoll Arbeiter länger arbeitet, als zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft nötig wäre, wenn die notwendige Arbeitszeit gegen Null tendiert? Wenn der Arbeiter an einem Arbeitstag das Tausendfache von dem produziert, was er im Monat ver- braucht? Wenn das Tagespensum des Arbeiters schließlich nur noch in einem Kopfnicken oder Fingerschnip- pen besteht?  

Die absolute Grenze der digitalen Automation wäre erreicht, wenn die Maschinerie nicht mehr mit Kopfdruck, sondern durch einen Denkanstoß, durch bloße Gedankenübertragung in Gang gesetzt werden kann. Das bliebe technologisch unmöglich? Aber viel wird nicht fehlen, und so bleibt das Problem: Bei solch astronomischen Missverhältnissen verliert es allen Sinn, von Mehrarbeit zu sprechen. Die 'Formbstimmung' bleibt unberührt, aber sie bedeutet nichts mehr.

Die Formbestimmung ist nichts anderes als die Begriffe. In den Begriffen ist erfasst, gefasst das wirkliche Handeln wirklicher Menschen; 'gefasst': das heißt, so dargestellt, als ob es stillestünde, als ob es eingefroren wäre. Wenn sich das, was die Menschen wirklich tun, ändert, dann ändert sich doch nicht der Begriff; er fasst nur nichts mehr. Er wird leer, weil er nun ohne Anschauung ist.
JE, 13. 8. 15



 

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