Mittwoch, 11. April 2018

"Das Kapital lesen".



Dem Kapitalisten ist an dem Mehrwert, den er selber produziert, gar nichts gelegen. Ihn interessiert der Teil am gesellschaftlichen Gesamtprofit, den er ergattern kann. Ob die Geldsumme, die ihm der Markt einträgt, einem materielles Produkt entspricht, das er auf den Markt gebracht hat, oder lediglich einer spekulativen Finanzoperation geschuldet ist, taucht unterm Strich in seiner Bilanz gar nicht auf, es kann ihm gleichgültig sein. 

Problematisch wird es erst in der Umkehrung: wenn nicht mehr genügend Geld hereinkäme, um neue Produkte zu fabrizieren. Dann würden schließlich die Gewinne der einen von den Verlusten der andern aufgewogen, und am Ende gäbe es gar nichts mehr zu verteilen, weil der ganze Kreislauf zum Stillstand gekommen ist.

Das ist, in groben Worten, das Problem der fallenden Profitrate. Es wird überhaupt erst im III. Band des Kapi- tal behandelt. Es ist aber das unmittelbarste, dringlichste Problem, das für das Kapital besteht - und für den Kapitalisten, auch wenn er es als solches gar nicht kennt. Kapital muss verwertet werden, sonst hört es auf, eines zu sein. Reichen seine Erlöse nicht aus, den Reproduktionszyklus wieder von vorn zu beginnen, dann ist er früher oder später bankrott. Nicht auf die absolute Höhe seiner Einkünfte muss es dem Kapitlisten ankom- men, sondern auf die relative: Sie müssen ausreichen.

Darum geht es ihm, und daher sorgt er sich mehr darum, die Vorschusskosten zu senken, die ihm der neue Reprokuktionszyklus abverlangt, als um den Mehrwert, den ihm seine Arbeiter produzieren. Denn nicht den Mehwert, den sein Unternehmen produziert, streicht der Kapitalist ein, sondern den Profit, den er beim Verkauf macht, und beide haben unmittelbar gar nichts mit einander zu tun.

Generationen von Arbeiterfunktionären und Agitatoren, später von revolutionär gesonnenen Studenten haben in ihren Marx-Schulungen über der Ersten Band des Kapitl geschwitzt, und der ist grad schwer genug. Doch von dem, was sie dort erfuhren, erkannten sie in der aktuellen Wirklichkeit kaum etwas wieder, nicht im Wirt- schaftsteil der Zeitungen noch gar im Fakrikalltag. Dann drückten sie ein Auge zu, trösteten sich damit, noch nicht alles ganz verstanden zu haben, und wurden doch das dunkle Gefühl nicht los, es handle sich um ein Abrakadabra, das nur wenigen Eingeweihten zugänglich ist. Statt dass Wissen Macht wurde, führte auch die 'Schulung' in neue Mystifikation und festigte das Übergewicht der  Bürokratien in der Arbeiterbewegung.

Wäre die Lösung gewesen, aufs Studium des Ersten Bandes noch das Studium des Zweiten und vor allem des Dritten Bandes draufzusatteln?

Klassenbewusstsein entsteht in Klassenkämpfen. Wo die nicht stattfinden, nützt auch literarisches Büffeln nicht. Dem kritischen Studierenden wird aber nichts anderes übrigbleiben.  


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