Sonntag, 6. Mai 2018

Modell und Wirklichkeit, oder Vom 1. zum 3. Band.

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Im ersten Buch wurden die Erscheinungen untersucht, die der kapitalistische Produktionsproceß, für sich genommen, darbietet, als unmittelbarer Produktionsproceß, bei dem noch von allen sekundären Einwirkungen ihm fremder Umstände abgesehn wurde. Aber dieser unmittelbare Produktionsproceß erschöpft nicht den Lebenslauf des Kapitals. Er wird in der wirklichen Welt ergänzt durch den Cirkulationsproceß, und dieser bildete den Gegenstand der Untersuchungen des zweiten Buchs. 

Hier zeigte sich, namentlich im dritten Abschnitt, bei Betrachtung des Cirkulationsprocesses als der Vermitt- lung des gesellschaftlichen Reproduktionsprocesses, daß der kapitalistische Produktionsproceß, im Ganzen betrachtet, Einheit von Produktions- und Cirkulationsproceß ist. Worum es sich in diesem dritten Buch han- delt, kann nicht sein, allge-/meine Reflexionen über diese Einheit anzustellen. Es gilt vielmehr, die konkreten Formen aufzufinden und darzustellen, welche aus dem Bewegungsproceß des Kapitals, als Ganzes betrachtet, hervorwachsen. 

In ihrer wirklichen Bewegung treten sich die Kapitale in solchen konkreten Formen gegenüber, für die die Gestalt des Kapitals im unmittelbaren Productionsproceß, wie seine Gestalt im Cirkulationsproceß, nur als besondere Momente erscheinen. Die Gestaltungen des Kapitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale auf einander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten.
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Das Kapital III, MEGA II/15,  S. 29f. [MEW 25, S. 33]
   



Nota. - Große Verwirrung hat nicht nur zu Zeiten der Zweiten Internationale, sondern auch wieder (von der Tragödie zur Farce) in den studentischen PollÖck-Schulungen der siebziger Jahre die Auffassung angerichtet, im 1. Band des Kapital stünde alles Wesentliche, in den beiden andern Bänden würden nur mehr oder weniger zufäl- lige Oberflächenerscheinungen beschrieben, die für das theoretische Verständnis nebensächlich sind. Man meinte, der individuelle Kapitalist beute die von ihm beschäftigten Arbeiter individuell aus, einem jeden presse er ein Stück Mehrwert ab, das er als Profit in die eigene Tasche stecke. Man glaubte, die kapitalistische Ausbeu- tung sei erfahrbar, man müsse nur "in die Betriebe gehen" und sie den Arbeitern dort recht anschaulich vor Augen führen. 

Im großen weltmarktlichen Ganzen ist der Profit 'nichts anderes' als der Mehrwert, aber was der Kapitalist wirklich einsteckt, ist der Profit, den Mehrwert kriegt weder er noch irgendwer sonst je zu Gesicht. Es 'gibt ihn' gar nicht so, wie es etwa den Vogel auf dem Zweig gibt. Im theoretischen Modell, nämlich so, wie es im 1. Band entworfen wird, erscheint er als das, was dem Profit, der die einzige Realität ist, "in Wahrheit zu Grunde liegt". Der Mehrwert ist eine Abstraktion so, wie das ganze Modell eine Abstraktion ist - und "der Wert" schon mal erst recht. Eine Abstraktion nämlich von der Konkurrenz der vielen Kapitale untereinander, und die ist keine Oberflächenerscheinung, sondern der Motor der bürgerlichen Gesellschaft; aber eben Konkurrenz der Kapitale, und deren Begriff musste erst einmal bestimmt werden.

Wer sich vom Konkreten zum Abstrakten, von der Anschauung zum Begriff durcharbeiten wollte, müsste sein Studium eigentlich beim 3. Band beginnen, nur würde er leider nichts verstehen, denn eingeführt werden die Begriffe am theoretischen Modell und nicht in der Anschauung - die bliebe blind, wenn die Begriffe ihr nicht die Augen öffneten. 
JE, 9. 1, 17




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