Donnerstag, 24. Mai 2018

Ein Verhältnis ist kein Ding.

W. Mattheuer, Verstrickt

Die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegen einander gleichgültigen Individuen bildet ihren gesellschaftlichen Zusammenhang. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang ist ausgedrückt im Tauschwerth, worin für jedes Individuum seine eigne Thätigkeit oder sein Product erst eine Thätigkeit und ein Product für es wird; es muß ein allgemeines Product produciren – den Tauschwerth oder, diesen für sich isolirt, individualisirt, Geld. Andrerseits die Macht, die jedes Individuum über die Thätigkeit der andren oder über die gesellschaftli-chen Reichthümer ausübt, besteht in ihm als dem Eigner von Tauschwerthen, von Geld. Es trägt seine gesell-schaftliche Macht, wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft, in der Tasche mit sich.

Die Thätigkeit, welches immer ihre individuelle Erscheinungsform, und das Product der Thätigkeit, welches immer seine besondre Beschaffenheit, ist der Tauschwerth, d. h. ein Allgemeines, worin alle Individualität, Eigenheit negirt und ausgelöscht ist. Dieses ist in der That ein Zustand sehr verschieden von dem, worin das Individuum oder das in Familie und Stamm (später Gemeinwesen) naturwüchsig oder historisch erweiterte Individuum direkt aus der Natur sich reproducirt oder seine productive Thätigkeit und sein Antheil an der Production an eine bestimmte Form der Arbeit und des Products angewiesen ist und sein Verhältniß zu andren eben so bestimmt ist.

Der gesellschaftliche Charakter der Thätigkeit, wie die gesellschaftliche Form des Products, wie der Antheil des Individuums an der Production erscheint hier als den Individuen gegenüber Fremdes, Sachliches; nicht als das Verhalten ihrer gegen einander, sondern als ihr Unterordnen unter Verhältnisse, die unabhängig von ihnen bestehn und aus dem Anstoß der gleichgültigen Individuen auf einander entstehn. Der allgemeine Austausch der Thätigkeiten und Producte, der Lebensbedingung für jedes einzelne Individuum geworden, ihr wechselsei-tiger Zusammenhang, erscheint ihnen selbst fremd, unabhängig, als eine Sache.

Im Tauschwerth ist die gesellschaftliche Beziehung der Personen in ein gesellschaftliches Verhalten der Sachen verwandelt; das persönliche Vermögen in ein sachliches. Je weniger gesellschaftliche Kraft das Tauschmittel besizt, je zusammenhängender es noch mit der Natur des unmittelbaren Arbeitsproducts und den unmittelba-ren Bedürfnissen der Austauschenden ist, um so grösser muß noch die Kraft des Gemeinwesens sein, das die Individuen zusammenbindet, patriarchalisches Verhältniß, antikes Gemeinwesen, Feudalismus und Zunftwe-sen. 
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Grundrisse, MEGA II/1.1  S. 90 [MEW 42, S. 90f.]  


Nota. - Im 'Verhältnis' ist substantivisch vorgestellt, was in der Wirklichkeit zeitwörtlich erscheint: Zwei verhalten sich zu einander. Das ist etwas, was sie tun und nicht selber sind. Wenn es heißt, zwei Dinge stünden zu einan- der im Verhältnis, ist das nur ein unsauberer Ausdruck dafür, dass der Redende sich insgeheim vorstellt, dass er sie gegeneinader bewegt habe. Die Kritik der Politischen Ökonomie besteht darin, das sie überall dort, wo die Politische Ökonomie in Begriffen dargestelle Dinge vorführt, die dahinter tätigen Subjekte kenntlich macht. "Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ru- he und Bestimmtheit aufgefasst."
JE

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