Freitag, 2. März 2018

Ökonomische Gesetze?



Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produk-tivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztre ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktions-kraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonisti-scher Distributionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein, nur inner-halb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reducirt. 

Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwerth auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die kapitalistische Produktion, ge-geben durch die beständigen Revolutionen in den Produktionsmethoden selbst, die damit beständig verknüpfte Entwerthung von vorhandnem Kapital, den allgemeinen Konkurrenzkampf und die Nothwendigkeit, die Pro-duktion zu verbessern und ihre Stufenleiter auszudehnen, bloß als Erhaltungsmittel und bei Strafe des Unter-gangs. 

Der Markt muß daher beständig ausgedehnt werden, sodaß seine Zusammenhänge und die sie regelnden Be-dingungen immer mehr die Gestalt eines von den Producenten unabhängigen Naturgesetzes annehmen, immer unkontrollirbarer werden. Der innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des äußern Feldes der Produktion. Je mehr sich aber die Produktivkraft entwickelt, um so mehr geräth sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen. 

Es ist auf dieser widerspruchsvollen Basis durchaus kein Widerspruch, daß Uebermaß von Kapital verbunden ist mit wachsendem Uebermaß von Bevölkerung; denn obgleich, beide zusammengebracht, die Masse des pro-ducirten Mehrwerths sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch zwischen den Bedingungen, worin dieser Mehrwerth producirt, und den Bedingungen, worin er realisirt wird. 
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Das Kapital III, MEGA II.15; S. 241 [MEW 25, S. 254f.]


Nota. – Das mächtigste Mittel, mit dem der Stalinismus die Marx'schen Lehren um ihre revolutionäre Spreng-kraft gebracht hat, war ihre Umdeutung zu einer objektivistischen Gesetzessammlung. Wie die Natur im Großen und Ganzen, so wäre die Geschichte der Menschen im Besonderen, und wären ganz speziell die historisch auf einander folgenden Produktionsweisen von Gesetzen durchherrscht, von denen ganz im Dunkeln bleibt, wer sie erlassen haben könnte.

Gegen Proudhon und andere Reformer, die den Kapitalismus meinten durch Manipulationen in der Zirkula-tionssphäre, durch Ausschaltung des Zwischenhandels oder Abschaffung des Geldes überwinden zu können, hebt Marx immer wieder hervor, dass das Kapitalverhältnis in den Produktionsbedingungen begründet ist, und diese schaffen Zwangsläufigkeiten, die 'mit der Unerbittlichkeit von Naturgesetzen' wirken, ohne dass die Individuen sich ihnen durch freien Willen entziehen könnten und ohne selbst sich ihrer bewusst zu werden. Obiges ist eine von den 'Stellen', auf die die Rede von den ökonomischen 'Gesetzen' sich beruft – und an denen zugleich ihr rein gleichnishafter Gebrauch augenfällig wird. Es läuft immer wieder nur auf dies eine hinaus: Die Menschen machen ihre Geschichte nicht unter frei gewählten Bedingungen; aber sie machen sie selber.

Nota II. Ginge es um die 'absolute Konsumtionskraft', nämlich um die faktischen Bedürfnisse aller Gesell-schaftsmitglieder, so müsste es unter kapitalistischen Bedinungen keinerlei Verwertungsprobleme und Absatz-krisen geben. Es zählt aber nur die mit Geld bewehrte Konsumtionskraft, die "über fremde Arbeit verfügt". Es geht nicht um die Bedürfnisse selbst, sondern darum, wieviel sie unter den gegebenen Eigentumsverhältnissen gelten.
JE

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