Gerrit Dou
Die KpÖ ist
keine positive Beschreibung der wirklichen ökonomischen Vorgänge. Sie ist ein
logisches Modell. Das Wirtschaftsgeschehen ist aber keine logische Operation,
sondern besteht aus wirklichen Alltagsereignissen. Wozu also das Modell?
Der Test auf
die Theorie ist in der Wissenschaft, sagt Marx [irgendwo?], das Experiment.
Anders als in den Naturwissenschaften könne man in den
Gesellschaftswissenschaften keine Versuchsanordnungen arrangieren. Das
Gedankenexperiment müsse das Labor ersetzen. Das logische Modell ist dazu da,
Gedankenexperimente zu ermöglichen.
Auch die
positive Volkswirtschaftslehre liebt Modelle: mathematische Modelle. Ihr Zweck
ist es, den wirtschaftlichen Akteuren – bis hin zu den Wirtschaftspolitikern –
Gedankenexperimente zu erlauben, die ihnen einen Anhaltspunkt für praktische
Entscheidungen geben. Im reellen Wirtschaftsgeschehen sind Experimente übrigens
durchaus möglich. Schon mancher Unternehmer hat sein Geschäft nach dem trial an error Prinzip betrieben. War er dann
pleite, dann ist er um eine Erfahrung reicher, aber um sein Kapital ärmer. Beim
nächsten Mal würde er es besser machen, aber leider gibt es kein nächstes Mal.
Dem zockenden Wirtschaftspolitiker mag es ebenso ergehen. Mathematische Modelle
sind praktisch-spezifisch. Der praktische Zweck ist a priori gegeben: der
größtmöglich Nutzen für den, der zu entscheiden hat. Das Modell erlaubt zu
errechnen, welcher kurzfristige Nutzen heute meinen langfristigen Nutzen morgen
und übermorgen kompromittieren könnte; und rät gegebenenfalls an, auf das
unmittelbar Naheliegende zu verzichten.
Das logische
Modell der KPÖ hat nicht den Zweck, praktische Entscheidungen zu ermöglichen.
Es dient dazu, durch experimentelle Versuche am Modell Fragen zu formulieren,
die an das wirkliche Wirtschaftsgeschehen gestellt werden können, um das
Funktionieren des Gesamtgeschehens zu verstehen. Es ist ein kritisches Werkzeug
gegenüber dem ökonomischen Globalprozeß, und keine Untersuchung individueller
Entscheidungsmöglichkeiten.
So wie im
Übrigen die "Versuchanordnung" des Naturwissenschaftlers in seinem
Labor ebenfalls nicht die wirkliche Natur
ist, sondern eben ein Modell davon –
genauer gesagt, das Modell eines vorab gedanklich isolierten Teils davon. Seine
Ergebnisse bilden keineswegs die Vorgänge in der Wirklichkeit ab, sondern geben
ein cue, ein kritisches Werkzeug für
deren Beobachtung. Freilich stellt auch der ökonomische Globalprozeß, den das
Modell der KPÖ 'repräsentiert', nicht das
ganze gesellschaftliche Leben dar, sondern - wiederum - nur einen davon
gedanklich vorab isolierten Teil…
[Fall der Profitrate]
Das Kapital
interessiert sich nicht für die Rate, sondern für seinen Profit – im Verhältnis
zu… Ja, im Verhältnis wozu?
Den Aktionär interessiert allerdings die
Rate: Wie hoch ist seine Rendite, im Vergleich zur Rendite in andern
Unternehmen (oder Geschäftszweigen)? Ist sie nämlich niedriger als dort,
verschiebt er seine Anlage in den profitableren Sektor. Ist die
Durchschnittsrendite 5%, dann wird er mit 4% nicht zufrieden sein. Liegt sie bei
3%, wird er sich mit 4% glücklich schätzen (und es bald mit dem konkurrierenden
Kapital zu tun bekommen, das nun in seinen Sektor strömt). Der Aktionär zieht seine Anlage erst
dann aus dem Verkehr, wenn er gar nichts mehr bekommt – und legt einen Schatz
an. [Die um sich greifenden Hedge Fonds…?]
Für das operierende Kapital ist der Bezugspunkt
aber nicht der Durchschnitt, auch unmittelbar noch nicht die Gewinnspanne der
Konkurrenten, sondern die absolute
Größe, die ein Geldbetrag haben muß, um wieder als Kapital fungieren zu können. Wie groß die Summe seines Gewinns sein
muß, um neu ins Geschäft einzutreten, oder eine bestehende Anlage so zu
erweitern, daß sie zusätzlichen Profit
erbringt. Das heißt, so lange die Akkumulation
schneller voranschreitet, als die Profite sinken…
Das Modell der
KPÖ hilft dem individuellen Kapital kein bisschen bei seinen Entscheidungen. Es
erlaubt lediglich, das globale wirtschaftliche Geschehen danach zu befragen,
welche krisenhaften Ereignisse als Ausdruck einer global fallenden Profitrate interpretiert werden können.
[Wert]
Der
'naturalistische Wertbegriff' (Preobraschenski gg. Bucharin) ist die
Vorstellung, der Wert sei eine sachliche Eigenschaft der Waren als res
extensae. Das gilt aber nicht einmal für den Gebrauchswert. Sicher, hätte das
Getreidekorn keinen so hohen Anteil an Kohlehydraten, hätte es keinen Nährwert
für die Menschen. Aber der Nährwert der Kohlehydrate liegt nicht in ihnen
selbst begründet, sondern in der Organisation des menschlichen Stoffwechsels.
Jene ist zu diesem hinzugetreten, nicht umgekehrt. [Na ja, Selektion und
Anpassung…] Der Tauschwert entsteht (um im Bilde zu bleiben), weil der
menschliche Stoffwechsel auch Fett, Proteine und Mineralien braucht, und sie
sich nicht gegenseitig ersetzen können. Eine überschüssige Menge Kohlehydrate
muß daher gegen eine fehlende Menge Fett oder Protein eingetauscht werden. So
geschieht es, dass die drei im gegebenen
Fall einander vergleichbar
werden. Ihre Vergleichbarkeit liegt nicht in ihrer stofflichen Zusammensetzung
– gerade an der nicht –, sondern in
der Natur des Bedürfnisses, auf das sie stoßen.
……
'Wert' ist eine
rein logische Funktion, bloß fiktionale "Rechengröße" in einem
Gedankenexperiment, der Nichts entspricht von Allem, das im reellen Wirtschaftsprozess
tatsächlich vorkommt. 'Wert' ist ein Wert, der "vorkommen würde,
wenn" in einem arbeitsteiligen Gemeinwesen, wo jeder nur für Andere
produziert, vorab ein Plan aufgestellt würde von der verfügbaren Arbeitszeit
(wobei die unterschiedlichen Arbeitsqualitäten auf "zusammengesetzte"
Arbeit umgerechnet wären), und dann die Produkte der Einzelnen auf die –
ebenfalls vorab quantitativ umgerechneten – Bedürfnisse verteilt würden. Siehe
"Randglossen zum Gothaer Programm": 'Zunächst' würde jeder von den
vorliegenden Produkten den Anteil erhalten, der seinem Anteil an der
verausgabten Arbeit(szeit) entspricht. An der Lohnhöhe würde sich gegenüber der
Markt-Wirtschaft also kaum was ändern
(bloß die Privatrevenue der Bourgeois; verrechnet gegen das Gehalt der nun
erforderlichen Planungsfachleuten); ein 'Mehrwert' würde immer noch
zurückgehalten zwecks Instandhaltung und Akkumulation. Erst in einem "2.
Stadium" wären nicht die 'Werte' der Produkte Maßstab der Verteilung,
sondern die Gewichtung der Bedürfnisse. Dann wäre der 'Wert' =
'durchschnittliche Arbeitszeit' eine bloße Messeinheit; nicht mehr Maßstab!
(Fragt
sich freilich, ob sich ohne Tauschwert,
der dazwischenträte, die 'Zusammengesetztheit' der Arbeiten aus so und soviel
'Durchschnittsarbeiten' irgendwie ermitteln
ließe! Man müsste es aus den 'Produktionskosten' einer jeden 'Arbeitskraft'
errechnen – also was er wie lange gelernt
hat; wobei kein Mittel wäre, zu erfahren, ob er das, was er gelernt hat, auch wirklich tut! Wo der Tauschwert herrscht, erfährt
man's – hinterher: Wenn das Zeug
nicht gegen die Konkurrenz bestehen kann. In der DDR gab's keine Konkurrenz, daher… [usw.]! M. a. W., die
'gesellschaftlich notwendige' Durchschnittsarbeit
ist ebenso eine fiktionale Größe zwecks Gedankenexperiment.)
Aber wenn sie
nicht die Arbeit zum Maß nähmen; wenn sie jeden einzelnen Gegenstand dem je
individuellen Bedürfnissen nach je besonderen Gesichtspunkten zumessen würden –
dann wäre eben auch das deren jeweiligen 'Wert'. Nur dass es eben kein
allgemeines Maß der Werte gäbe. So
wird man sich die 'naturwüchsige' Verteilung in den ursprünglichen
Gemeinschaften denken müssen. Daß dabei 'Alle gleich' gewesen wären, wird man
kaum annehmen können.
"Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten
Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit [20] als Wert
dieser Produkte, als ein von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt,
im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar
als Bestandteil der Gesamtarbeit existieren."
Marx, Randglossen
zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, MEW 19, S. 19f.
Entwurf, 16. 5. 2015
* Hier bricht der Entwurf ab. Ob die Kritik der Politischen Ökonomie selber eine Theorie ist - ein Modell der bürgerlichen Gesellschaft -, blieb unbeantwortet. Was hat mich vom Weiterschreiben abgehalten? Wohl eine dringendere Arbeit, denn ein Geheimnis ist die Ausführung ja nicht:
Das theoretische Modell, von dem Marx ausgeht, ist das Klassische System der Politischen Ökonomie, auch das Smith-Ricardosche System genannt. Tatsächlich hat Marx, als er begonnen hat, an dem Werk zu arbeiten, das schließlich unter dem Titel Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie erschien, noch gemeint, er sei lediglich dabei, dieses System zu vervollständigen.
Einer Vervollständigung bedurfte es allerdings. Denn das theoretisch bedeutendste Problem dieser Theorie, wo nämlich der Mehrwert herkommt, wird bei Smith nur gestreift und von Ricarde als Problem nicht einmal mehr erkannt.
Wenn nämlich alle Marktteilnehmer Warenbesitzer sind und untereinander alle ihre Waren zu ihrem Arbeitswert, nämlich ihren Herstellungskosten, austauschen, wie es das Wertgesetz fordert, bleibt der Wert des Gesamtprodukts immer derselbe, ein Zuwachs geschieht nicht.
Smith machte bei seiner Grundannahme, dass der Wert jeder Ware in der in ihr vergegenständlichten Arbeit bestünde, eine bemerkenswerte Ausnahme: Die Arbeit selbst hat nämlich bei ihm einen natürlichen, nicht ihrerseits durch Arbeit bestimmten konstanten Wert, nämlich den Kornpreis. Die Arbeiter ernähren sich von Brot, das wird aus Korn gebacken, aber das Korn ist ein Produkt des Bodens, der Natur (gr. physis) und nicht der Arbeit. Das war ein physio kratischer Rest, und dies ausgerechnet mitten im Kern des ganzen Systems.* Ricardo hat Smith deswegen gescholten, aber eine andere Lösung vorgeschlagen hat er nicht; er hat nicht einmal eingesehen, dass eine Lösung theoretisch notwendig war.
Marx hat sich lange bei dem Versuch aufgehalten, den Mehrwert aus dem Begriff des Werts zu entwickeln und hat sich dabei zu seinem unglückseligen "Kokettieren mit der Hegel'schen Ausdrucksweise" verleiten lassen; dies aber ohne Ergebnis. Erst als er sich, ersatzweise, dem Studium der wirklichen Geschichte der Produktionsweisen zuwendet - Formen, die der kapitalistischen Produktionsweise vorhergehen -, fällt ihm auf, dass der Lohnarbeiter im Unterscheid zu allen andern Marktteilnehmern kein gegenständliches Produkt zum Tausch anbietet, sondern sein lebendiges Arbeitsvermögen selbst. Etwas anderes hat er nicht, aber mit seiner bloßen Arbeitskraft kann er selber nichts anfangen: Ihm fehlen die Arbeitsmittel; mit andern Worten: das Kapital.
Das war nicht immer so; sie verfügten einmal über ein Arbeitsmittel; über Boden, früher, als sie noch Bauern waren, sei es als Pächter, sei es als Teilhaber am Gemeindeland. Wie kam es, dass sie darüber heute nicht mehr verfügen - etwa durch den 'Tausch gleicher Werte'? Keineswegs, sondern durch außerökonomische Gewalt; sie sind von Grund und Boden vertrieben worden.
Erst seither ist Arbeitskraft überhaupt zur austauschbaren Ware geworden, "von Natur" ist sie eine personale Eigenschaft. Sie kann daher auch nicht verkauft, sondern muss auf Zeit vermietet werden. Jetzt erst und unter diesen Bedindungen wird ihr Wert durch ihre Herstellungs-, d. h. Reproduktionskosten bestimmt. Aber daraus folgt unmitelbar, dass ihre Produkte nicht dem Eigentümer der Arbeitskraft gehören, sondern dem, der sie während der Arbeitszeit gemietet hat, denn der hat sie sachlichen Mittel bereitgestellt, die dem Arbeiter überhaupt erst erlaubt haben, seine Arbeitskraft zu verausgaben. Die Verausgabung der Arbeitskraft gehört dem Kapitaleigner, denn der hat sie bezahlt.
Kurz gesagt, eine Theorie der bürgerlichen Gesellschaft ist die Kritik der Politischen Ökonomie nur, indem sie ein Kritik am Modell der Smith-Ricardoschen Schule ist. Als Theorie ist sie rein negativ.
Das hat seine besondere Pointe. Denn da, wo die Kritik doch einen positiven Beitrag zur ökonomischen Theorie leistet, das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate nämlich (das schon vor Marx erahnt, abere nicht ausgeführt wurde), erweist sich, dass das, was von einer Theorie in specie erwartet wird: ein wirkliches Geschehen in Begriffe zu fassen, im Bereich des menschlichen Handelns gar nicht möglich ist. Zwar ist das Gesetz absolut und, wie es der Begriff verlangt, allzeit wirksam; aber ob in der gegenständlichen Welt aus der Tendenz jemals ein Akut wird, also ob die Profitrate jemals wirklich fällt, ist ausschließlich eine Sache der Wirklichkeit, die nur aus Zufällen besteht. Dass es irgendwann geschieht, ist logisch genauso gut möglich, wie dass es nie geschieht.
Insofern liefert die Kritik der Politischen Ökonomie einen abschließenden Beitrag über die Brauchbarkeit nomothetische und idiographischer Wissenschaft in der Geschichtsbetrachtung.
*) Es war weniger dumm, als es hinterher aussieht, denn es hatte den Augenschein für sich. Zu Smith's Zeit gab es in England Preisstatistiken seit rund 50 Jahren - und in dieser Zeit hatte sich der Kornpreis kaum verändert.